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FundgrubeCrossover

Eine gläserne Zisterne des deutschen Designers Wilhelm Wagenfeld begegnete mir mehrmals im Internet: In dem Katalog eines Kunstgewerbemuseums, im Angebot eines Antiquitätenhändlers und bei einer Auktion. Ebenso unterschiedlich ist ihre Bewertung, nämlich nur qualitativ: als musealer Gegenstand mit einem entsprechend hohen Preis. In „The Value of Things“ untersuchen die beiden Künstler Neil Cummings und Marysia Lewandowska anhand des British Museum und des Großkaufhauses Selfridge in London, wie sich das ehedem gegensätzliche Verständnis von kultureller Beschäftigung und kommerzieller Vermarktung annähert, ja zuweilen sogar einem Crossover-Phänomen gleicht.

Die Autoren sind dabei über die Trennung der Dinge in Kunst/Nichtkunst längst hinaus. Alle Objekte verstehen sie als materiellen Ausdruck von Gesellschaften und Individualisten. Die Mechanismen der Wertbildung erfordern freilich, die jeweiligen Codierungen zu klassifizieren und zu interpretieren – sowohl im Museum als auch im Kaufhaus. Im Internet-Auftritt des British Museums wird die Interpretation durch die Limitierung der Objekte und ihres Kontextes vorgegeben und in „öffentlich“, „akademisch“ und „kommerziell“ eingeteilt. Letztere Kategorie betrifft das „Merchandising“, dessen digitale Erfassung das flexible Kommerzialisieren einst sakrosankter Gegenstände fördert und den Museen damit nicht nur neue Einnahmequellen ermöglicht, sondern vor allem seinen Wirkungskreis außerhalb der namensgebenden Institution verlegt. Umgekehrt bietet das Kaufhaus Selfridge auf seinen Web-Sites keine Möglichkeit des Online-Einkaufs. Offensichtlich hat der Handel erkannt, dass der Screenkontext den sinnlichen Austausch zwischen Ware und Kunden nicht ermöglicht; stattdessen wird das Internet hier benutzt, um die Besucher zu einem realen Besuch anzuregen. Aus diesen Strategien folgern die Autoren eine konvergente Entwicklung von Museum und Kaufhaus.

Ihr Diskurs offenbart den Blick der Konsumgesellschaft, wenn etwa Objekte wie verwandt wahrgenommen werden und doch mehrere tausend Jahre voneinander entfernt in völlig unterschiedlichen Kulturen entstanden sind. Oder wenn Plastikflaschen präsentiert werden, die auch ohne Label auf ihre Inhalte schließen lassen. -mikas

„The Value of Things“ von Neil Cummings und Marysia Lewandowska. Text englisch, 68 DM, Birkhäuser-Verlag, Basel/Boston/Berlin 2000

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