■ Fujimori, heldenhafter Befreier der Geiseln, wird seine starre Linie der Härte innenpolitisch weiter fortsetzen Von Ingo Malcher: Sieg für den Rambo
Sieg für den Rambo
Alberto Fujimori triumphiert. Lächelnd steht er in einem Bus und läßt die rotweiße peruanische Flagge aus der geöffneten Tür herausflattern. Perus Präsident begleitet die befreiten Geiseln auf dem Weg ins Polizeikrankenhaus. Kurz zuvor hat er im Garten der 126 Tage lang besetzt gehaltenen Residenz des japanischen Botschafters seine Soldaten gefeiert. „Sie sind die Helden dieser Aktion“, rief er ihnen begeistert zu, riß die Hand in die Luft und faltete die Finger zum Victory-Zeichen. Nur eine der Geiseln fehlt im Bus, der Richter am obersten Gerichtshof, Carlos Giusti. Er ist bei der Befreiungsaktion ums Leben gekommen. Mit ihm starben zwei Soldaten und alle 14 Guerilleros und Guerilleras der MRTA.
Fujimori ging aus der Geiselkrise in Lima als Sieger hervor. Eine Geisel und zwei Soldaten sind bei dem Angriff ums Leben gekommen, doch das fällt verglichen mit dem Erfolg kaum ins Gewicht. Von Beginn der Geiselnahme am 17. Dezember an hat Fujimori sich konstant geweigert, Zugeständnisse an die „Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru (MRTA)“ zu machen oder gar deren Forderung nach Freilassung der etwa 400 in peruanischen Gefängnissen unter unsäglichen Bedingungen einsitzenden MRTA-Aktivisten nachzugeben. Eine Freilassung auch nur eines einzigen „komme überhaupt nicht in Frage“, pflegte er stets zu wiederholen. Die japanische Regierung hätte lieber ein schnelles und friedliches Ende der Geiselkrise gesehen. Doch Fujimori ließ sich nicht beirren. Verhandeln und diskutieren sind nicht die Stärken eines Präsidenten, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen.
Fujimori setzte auf Härte und auf die Zeit. In den ersten Wochen legte die Besetzung der Residenz das politische Leben in Peru total lahm. Nach und nach herrschte wieder Alltag in Lima. Einen lange geplanten Staatsbesuch in Großbritannien sagte Fujimori demonstrativ nicht ab. Seine Kritiker wurden immer leiser. „Ich habe eine Geduld, die manche Leute in den Wahnsinn treiben kann“, warnte er die MRTA.
Für die Geiselnehmer in der Residenz kam der Sturm am Dienstag nachmittag (Ortszeit) völlig überraschend. Einige MRTA-Aktivisten spielten zu der Zeit gerade Tischfußball. Über eine Terrasse und durch einen Tunnel haben sich die Spezialkommandos der Marine und Luftwaffe Zugang zu dem Gelände der besetzten Botschafterresidenz verschafft. Der Tunnel, der von einem benachbarten Haus gegraben wurde, endete direkt unter dem Kicker-Tisch in der Residenz. Jeden Tag und immer zur selben Zeit vertrieben sich die MRTA- Leute die Langeweile mit Tischfußball. Die Detonation einer Bombe genau unter dem Fußballtisch setzte auf einen Streich acht MRTA-Aktivisten matt. Die Sicherheitskräfte wußten offensichtlich über die Vorgänge in der Residenz genau Bescheid: durch in den Wasserleitungen plazierte Mikrophone und Infrarotgeräte in Hubschraubern.
Und es gab einen Mann, der in der Residenz ein und aus ging und somit viel über das Leben dort wußte: Der Erzbischof Jean Luis Cipriani. „Ich bin nicht neutral, ich bin auf der Seite der Geiseln“, bekannte Vermittler Cipriani schon im Januar. Nach der Befreiung verriet der bolivianische Botschafter, Jorge Gumucio, überraschend: Nur wenige Minuten vor der Stürmung sei den Geiseln ein verabredetes Zeichen gegeben worden. War dieses Zeichen mit Cipriani abgesprochen worden? Am Wochenende hatte der sich krank gemeldet und angekündigt, den Geiseln in nächster Zeit keine Besuche abzustatten. Seine Nerven hielten weitere Verhandlungsrunden nicht mehr durch. Der Bischof aber gilt als stahlhart. In seiner Stadt Ayacucho tobte noch vor wenigen Jahren der Krieg mit dem „Leuchtenden Pfad“. Cipriani blieb in der Stadt.
Nach der Detonation unter dem Kicker-Tisch stürmten von allen Seiten Soldaten der Spezialeinheiten auf das Gelände der Residenz. Sie müssen genau gewußt haben, an welchen Stellen sich im Haus Sprengsätze befunden haben und wo welche Geiseln gefangengehalten wurden. Anders ist ihr Erfolg nicht zu erklären. Es wäre für die MRTA ein leichtes gewesen, einige Geiseln zu erschießen. Aber es deutet einiges darauf hin, daß die MRTA nicht schießen wollte. Ob sie sich möglicherweise ergeben haben, darüber kann nur spekuliert werden. Wie Nestor Cerpa Cartolini und seine weiteren 14 Mitstreiter ums Leben kamen bleibt unklar. Fujimori bedauerte ihren Tod, vergaß aber nicht festzustellen, daß „es keine andere Möglichkeit gab“. Anwohner berichteten, daß sie deutlich Schüsse aus Handfeuerwaffen gehört haben, was bedeuten könnte, daß sie exekutiert worden sind. Die Leichen der MRTA-Aktivisten wurden nach dem Sturm nicht abtransportiert, sondern erst einmal in dem abgesperrten Gebäude liegengelassen. Werden sie je obduziert? Oder werden sie heimlich durch den Tunnel nach draußen geschafft und verscharrt?
Für die Gefangenen der MRTA in Perus Knästen gibt es nicht mehr die geringste Hoffnung einer baldigen Freilassung. Ob das Angebot nach Haftverbesserungen, das Fujimori während der Geiselnahme als Zugeständnis anbot, noch gilt, darf bezweifelt werden. Fujimori war während der Krise so unflexibel als nur möglich. Kuba hatte sich längst bereit erklärt, den MRTA-Aktivisten Asyl zu gewähren. Doch selbst eine solche Lösung, ein solch bescheidener Erfolg der Guerilla-Aktion, lag nicht in seinem Interesse. Jetzt ist er der Triumphator in einer schier unlösbaren Situation geworden.
Nachdem alles vorbei ist, spielt Fujimori im Garten der Residenz den Befehlshaber. Mit kugelsicherer Weste und Funkgerät gibt er Anweisungen. Das paßt zu seinem Typ: Der Mann, der die Dinge unerschrocken anpackt – der Präsident als Rambo.
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