: Fujimori - „Hans im Glück“ ist Perus Präsident
Der Nachfahre japanischer Einwanderer siegt mit absoluter Mehrheit gegen Nobelpreisträger Vargas Llosa / Breite Unterstützung von Gewerkschaften und Bauern / Gegen neoliberales Krisenmanagement / Revision der US-gestützten Anti-Koka-Politik angekündigt ■ Von Nina Boschmann
Die historische Abrechung mit den traditionellen Politikern Perus fand im Fernsehen statt. Noch bevor auch nur die erste Stimme ausgezählt war, häuften sich bei den TV-Moderatoren am Sonntag nachmittag die Freudschen Versprecher: “... werden wir nun, meine Damen und Herren, über die Wahl Fujimoris zum Präsidenten ... äh, Verzeihung, die Präsidentschaftswahlen mit den Kandidaten Fujimori und Vargas Llosa berichten.“
Wo in der ersten Runde am 8.April noch die Macht des Geldes die Verteilung der Sendezeiten auf die verschiedenen politischen Strömungen bestimmte, durften sich beim zweiten Wahlgang am 10.Juni Gewerkschafts- und Bauernführer ungehindert darüber auslassen, warum sie von derlei Wahlkampf die Nase voll hätten und was sie am Senkrechtstarter Fujimori schätzen gelernt hätten: seine Ehrlichkeit und sein unprätentiöses Auftreten.
Schon am frühen Abend wurde offensichtlich, daß die Volksvertereter mit ihrer Meinung nicht allein dastanden: mehr als 50 Prozent der abgegeben Stimmen in Lima und allen großen Küstenstädten, an die 70 Prozent in den Kriegsgebieten der Zentralanden bescheinigten bereits die ersten Hochrechungen dem Nachfahren japanischer Einwanderer, der noch vor gut zwei Monaten als absoluter Folklorekandidat im peruanischen Polit-Establishment galt. 60 Prozent sagten ihm die Hochrechnungen gestern abend insgesamt voraus. Der ursprüngliche Favorit, der neokonservative Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa, gestand seine Niederlage schon am Abend ein.
Somit ist sicher, wenn auch noch nicht amtlich, daß am 28.Juli mit Alberto Fujimori ein Peruaner der ersten Generation Präsident des größten Andenstaates werden wird. Ein Novum in der Geschichte des Landes, das - wie auch die anderen Staaten Lateinamerikas - bislang ausschließlich von Weißen und hellhäutigen Mestizen regiert wurde, während der indischen, schwarzen und asiatischen Bevölkerung der Zutritt zur großen Politik weitgehend verwehrt blieb.
„El chinito de la suerte“, zu deutsch etwa „der chinesische Hans im Glück“, ist denn auch der neueste Spitznahme, der dem 51jährigen Landwirtschaftsprofessor zugesprochen wird. Doch bei näherem Hinsehen erklärt sich der Erdrutschsieg des Außenseiters weder als Laune einer genervten Wählerschaft noch durch die plötzlich von einigen Anthropologen entdeckte charakterliche Wesensverwandtschaft indianischer und ostasiatischer Völker.
Alberto Fujimori hat bis zum Schluß der Versuchung widerstanden, irgendeiner Wählergruppe Versprechungen zu machen, die sich angesichts von wirtschaftlichem Ruin und Krieg ohnehin als unrealistisch erwiesen hätten. Überparteiisch, aber unter Anhörung auch der alten Politiker werde man die vielfältigsten Probleme des Landes peu a peu analysieren und Lösungen suchen, die im Interesse des Gemeinwohls lägen, hieß es vage vor dem ersten Wahlgang. Diese mit viel Bedacht begonnene Suche hat mittlerweile einige von Fujimori am Wahlabend vorgestellte Erkenntnisse erbracht, die darauf hindeuten, daß der Sieger und seine „Cambio '90“ es ernst meinen.
So wird dem neoliberalen Krisenmanagement eine klare Absage erteilt. Die Wirtschaft müsse durch neue Technologien und auch durch eine „produktionsorientierte Gesinnung“ wiederbelebt werden. Durch Massenentlassungen und Lohnsenkungen sei sie jedoch nicht zu sanieren. Statt dem Verkauf der umstrittenen Staatsunternehmen sei eine Antikorruptionskampagne ratsam.
Auch die US-gestützte Politik zur Vernichtung der Koka -Felder müsse überdacht werden, da nicht effizient: In der vergangenen Dekade hätten die Amis 5.000 Hektar des ungeliebten Krauts eliminiert, aber mehr als 100.000 seien nachgewachsen mangels staatlicher Unterstützung für die Bauern.
Statt antiimperialistischer Kampfparolen gegen die Gringos spricht Fujimori von einer „stärkeren Hinwendung zum pazifischen Becken“ und der Wiederblebung des Andenpakts: Angesichts der weltweiten Neuformierung der Blöcke müsse auch Lateinamerika Querelen über Bord werfen.
Ein Bekenntnis zum Militarismus ist von Fujimori trotz wiederholt wabernder Putschgerüchte nicht so leicht zu haben: wird er über die Kriegszonen befragt, spricht er zunächst über die strukturelle Gewalt und das Elend in den betroffenen Gebieten. Damit ist er sicherlich für die Guerillaführer von „Movimiento Tupac Amaru“ ein respektabler Gesprächspartner. Die vom konkurrierenden dialogfeindlichen „Sendero Luminoso“ geplanten Bevölkerungsteile haben ihrerseits ein Signal abgegeben. Trotz Boykottaufrufs der Organisation war die Wahlbeteiligung in den Zentralanden nie so hoch wie vorgestern.
Die für „Cambio '90“ ins Parlament gewählten KandidatInnen stehen für einen gemäßigten Reformismus: mittelständische Unternehmer mit solzialem Engagement wie Julian Bustamante oder die Ärztin Ana Tamashiro, die sich mit der Errichtung von Behindertenwerkstätten einen Namen machte.
All dies schien dem konservativen Katholischen Klerus so bedrohlich, daß er die Kandidatur des erklärten Agnostikers und langjährigen Kirchenkritikers Vargas Llosa unterstützte. Die reformfreudigeren protestantischen Kirchen dagegen machten voller Eifer für den zum Katholizismus konvertierten Buddhisten Fujimori Stimmung.
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