Für mich ist die Sache so noch nicht beendet

Am 20. April erklärte die RAF ihre Selbstauflösung. Ohne Selbstkritik, sachliche Aufarbeitung ihrer Geschichte oder ein einziges Wort des Bedauerns jenen gegenüber, die ihrer katastrophalen Politik zum Opfer gefallen sind. Wie der Diplomat Gerold von Braunmühl, der 1986 von einem RAF-Kommando erschossen wurde. Braunmühls Sohn Patrick gibt sich mit der Schlußerklärung nicht zufrieden. Auch nach einem Gespräch mit der ehemaligen RAF-Frau Birgit Hogefeld verlangt Patrick von Braunmühl Erklärungen von dr RAF  ■ Ein Interview
von Patrik Schwarz

taz: Wie haben Sie von der Selbstauflösung der RAF erfahren?

Patrick v. Braunmühl: Abends vor dem Fernseher.

Wie hat die Erklärung auf Sie gewirkt?

Ich war einigermaßen erstaunt, daß noch eine Auflösungserklärung erfolgt. Im Grunde war die RAF ja schon mehr oder weniger inaktiv. Und die Erklärung hörte sich so banal an. Es klang nach einem Fußballverein, der abgestiegen ist und jetzt sagt, daß er die Fans schlecht betreut hat.

Was haben Sie in der Erklärung der RAF vermißt?

Es war eine rein strategische Selbstkritik. Da wird gesagt: Na ja, das Ganze war ein gerechtfertigter Versuch, kapitalistische Strukturen zu durchbrechen, wir haben dabei eben gewisse Fehler gemacht und dadurch unsere Anhänger vergrault.

Daß eine Entschuldigung gegenüber den Opfern nicht drin ist, auch keinerlei Bedauern, war mir schon klar. Die moralische Tragweite, daß man über Jahre einen Mord nach dem anderen begangen hat – eine Aufarbeitung auf menschlicher Ebene hat nicht stattgefunden. Statt dessen wird bedauert, daß die RAF es nicht geschafft hat, in der Kontinuität der Studentenrevolte von 68 genügend Leute von ihrer Idee zu überzeugen.

Es ist innerhalb der Linken diskutiert worden, ob die RAF das illegitime Kind der 68er sei. Hat der Mord an Ihrem Vater Ihre Einstellung zu 68ern geprägt?

An sich sind mir solche Leute sympathisch. Und als Jugendlicher fand ich einige der 68er-Ideen auch ganz gut. Nach dem Mord hatte ich allerdings eine gewisse Allergie gegen das Revolutionsgeschwafel mancher dieser Leute. Ich hatte am eigenen Leib gespürt, was das in der Konsequenz heißt.

Das RAF-Kommando, das Ihren Vater ermordete, ließ am Tatort ein Bekennerschreiben zurück. Die Brüder Ihres Vaters schrieben damals in der taz eine öffentliche Antwort „An die Mörder unseres Bruders“. Würden Sie heute sagen, dies hat den Untergang der RAF beschleunigt?

Ich habe bei dem Brief ehrlich gesagt das Gefühl, daß er auf RAF-Seite relativ wenig bewegt hat. Zu der Zeit war das Denken noch einbetoniert, der Brief wurde als Idee des Verfassungsschutzes verstanden. Nur in autonomen Sympathisantenkreisen, die zwischen der RAF und der Gesellschaft standen, gab es eine Polarisierung. Durch die folgenden Diskussionen in der taz entstand damals ein gewisser Zugzwang, sich entweder von der RAF abzugrenzen oder sie gutzuheißen.

In ihrer jetzigen Erklärung stellt die RAF fest, daß ihnen die Sympathisanten zunehmend weggeblieben sind. Aber die Auflösung hat damit, glaube ich, nur wenig zu tun. Was der Brief damals bewirkt hat, war eher eine Enttabuisierung des Themas RAF in der Öffentlichkeit und der Politik. – Zuvor war das Gespräch über die RAF oder die Veröffentlichung von Erklärungen, die die RAF zur Rechtfertigung ihrer Morde vorbrachte, praktisch unter Strafe gestellt.

Der Brief hat Ihrer Familie angeblich Unverständnis oder gar Feindseligkeit von den Familien anderer RAF-Opfer eingetragen, weil Sie das ungeschriebene Gesetz gebrochen haben, die RAF nicht als Gesprächspartner zu akzeptieren.

Das haben wir so direkt nicht gespürt. Das waren zum Teil Verlegenheitsartikel von Zeitungen anläßlich von zwanzig Jahren Deutscher Herbst, in denen das so hochstilisiert wurde. Wir hatten nicht zu vielen anderen Familien von Opfern Kontakt, aber ich glaube, die Leute verstanden schon, daß man jetzt nicht der RAF die Hand gibt oder ihr vergibt.

Viele Leute haben sich nach dem Brief die Frage gestellt: Kann man das überhaupt, sich analytisch, intellektuell mit Argumenten auseinandersetzen, die die Ermordung des eigenen Bruders rechtfertigen sollen?

Der Brief war auch emotional, es war keine rein analytische Auseinandersetzung. Für mich war unglaublich, daß die RAF als politische Idealisten einen Mord begeht an meinem Vater, den ich in meiner ganzen Kindheit und Jugend als politischen Idealisten gesehen habe, der immer mit Eifer diskutiert hat. Das ist eigentlich auch die Erziehung in unserem Elternhaus, daß man zu jeder Diskussion bereit ist und nicht irgendwo abblockt. Ob es einen großen Sinn macht, auf ein Bekennerschreiben zu antworten, ist natürlich eine Frage – aber wir hatten auch das Bedürfnis, öffentlich zu sagen, diese Rechtfertigung ist Quatsch, was die dort sagen, stimmt einfach nicht.

1986 schrieben die Brüder Ihres Vaters den Satz: „Vielleicht gehört Unansprechbarkeit zum Mythos RAF sogar dazu.“ 1996 besuchten Sie und Ihre Onkel die RAF-Terroristin Birgit Hogefeld im Gefängnis. Haben Sie dort auf Ihre Fragen an die RAF Antwort bekommen?

Wir sind ins Gespräch gekommen, und es war interessant, aber ich würde jetzt nicht sagen, daß ich da endgültige Antworten auf meine Fragen bekommen hätte. Das war eigentlich erst ein Kennenlernen, und wir haben es bisher leider nicht geschafft, das fortzusetzen. Auch waren die Bedingungen für dieses Gespräch eher ungünstig: Wir hatten eine Stunde Zeit, und es fand unter Bewachung und mit Trennscheibe statt.

Wie verhält man sich, wenn man jemandem gegenübersteht, der zu den Mördern des eigenen Vaters gehört?

Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, daß sie selber tatsächlich Mörderin gewesen wäre, dann wäre ich wahrscheinlich nicht hingegangen. Sie hatte irgend was damit zu tun, das ist klar, weil sie damals aktives RAF-Mitglied war. Aber es ging beim Besuch bei Frau Hogefeld ja nicht um Vergebung. Ich denke, das ist Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit – und zwar für beide Seiten. Wir sind auch nur deswegen hingegangen, weil sie vorher in mehreren Schreiben deutlich gemacht hat, daß sie sich davon distanziert, und zwar nicht nur strategisch, sondern daß sie das auch menschlich für falsch gehalten und sich kritisch mit der ganzen Sache auseinandergesetzt hat.

Für mich stand auch immer die Frage im Raum: Wie kann es dazu kommen? Veränderungen nur noch über solche Morde herbeiführen zu wollen – das ist doch eigentlich das Ergebnis einer unglaublichen Sprachlosigkeit. Was sind das für Menschen, wie kommen die dahin? Es besteht immer noch ein starker Aufklärungsbedarf, deshalb ist für mich die Sache auch noch nicht beendet mit so einer Auflösungserklärung.

Auf welche Antworten warten Sie noch?

Die Tatumstände sind unklar – und wer die Mörder waren. Darum bin ich der Meinung, die Fahndung sollte nicht völlig eingestellt werden. Und ich bin durchaus der Ansicht, daß es noch zu einem Strafprozeß kommen sollte. Zugleich will ich wissen, wie die RAF funktionierte: Wie liefen die Diskussionen ab, wie kam man auf meinen Vater? Wurde geprüft, was er politisch tat, was er für ein Mensch war – war das überhaupt interessant?

Hatten Sie das Gefühl, daß Birgit Hogefeld bereit ist, sich auch auf eine emotionale Auseinandersetzung einzulassen?

In einem begrenzten Maße schon. Sie war deutlich in einem Prozeß des Verarbeitens ihrer Vergangenheit und des Drübernachdenkens. Ich glaube, daß sie sich erst jetzt kritisch damit auseinandersetzen kann, seit sie raus ist aus diesem Gedankenkreislauf, der die RAF-Diskussionsstrukturen ausgemacht haben muß: Das war das Schweinesystem und dessen Repräsentanten freigegeben zum Mord.

Wie spricht man in dieser Situation miteinander? Behutsam bemüht, nicht die Sensibilitäten des anderen zu verletzen?

Man kann es vielleicht als höflich distanziert bezeichnen – aber durchaus mit kritischen Fragen behaftet, mit Verstehenwollen. Und auf beiden Seiten stand wohl die Frage, was sind das für Menschen auf der anderen Seite?

Die Begegnung war nun eine Gelegenheit, in der die RAF ansprechbar wurde. Erinnern Sie sich noch an Fragen, die Sie gestellt haben?

Von ihrer Seite war ja klargestellt, daß sie sich zwar abwendet von der RAF, aber nicht ehemalige Mitstreiter ans Messer liefern will. Insofern brauchte man manche Fragen gar nicht zu stellen – „Wer war's?“ zum Beispiel. Ich habe Fragen nach den Diskussionsstrukturen in der RAF gestellt. Und das hat sie dann in einer abstrakten, allgemeinen Form ansatzweise beantwortet.

Die Frage, ob sie sich schuldig fühlt, konnte man die stellen?

Dazu ist es zumindest in dem Gespräch nicht gekommen. Es war zu kurz, um in die Tiefe zu gehen.

Sie sagten, daß Birgit Hogefeld keine anderen Leute ans Messer liefern will. Die einen würden das Ganovenehre nennen, andere womöglich Zivilität im Terror.

Ich finde das nachvollziehbar – in einer Situation, wo aktuell nicht mehr gemordet wird.

Wer Fragen stellt, macht sich auch verletzlich. Hat Birgit Hogefeld Ihnen und Ihrer Familie Fragen gestellt?

Nein, das wohl nicht. Soweit ich mich erinnere, war es eher so, daß wir Fragen gestellt haben und sie erzählt hat. Es kann aber durchaus sein, daß es noch mal zu einem zweiten Gespräch kommt.

Sie sprachen von Ihren Fragen an die RAF. Haben Sie auch Fragen an den Staat?

Ich glaube, daß Geschichtsaufarbeitung in Deutschland manchmal eher mangelhaft stattgefunden hat und zum Thema RAF noch stattfinden muß. Das heißt auch, auf seiten des Staates zu gucken, was dort vielleicht falsch gemacht wurde und was an staatlichen Reaktionen zur Eskalation mit der RAF beigetragen hat. Ich glaube, daß der Staat teilweise Munition geliefert hat für die Rekrutierung von RAF-Sympathisanten. Dadurch, daß es im Ansatz unfaire Prozesse und eine ziemliche Hatz gegeben hat, wurden der RAF immer wieder Argumente geliefert. Im übrigen hat die staatliche Reaktion ja letztlich zu nichts geführt: Die Fahndung hat keinen Erfolg gehabt, die schärferen Gesetze haben auch nicht viel bewirkt. Da wünsche ich mir staatliche Selbstkritik.

Manche werfen dem Staat bis heute vor, zu hart mit RAF-Häftlingen umzugehen.

Ich bin nicht dafür, jetzt einen Schlußstrich in Form einer Amnestie zu setzen. Andererseits gab es Härten für RAF-Gefangene, die meiner Meinung nach aufgehoben werden sollten.

Und wenn die Mörder Ihres Vaters gefaßt würden?

Dann würde ich nicht sagen, die Strafe sollte zur Bewährung ausgesetzt werden. Aber ich würde auch nicht fordern, daß dabei dreimal „lebenslänglich“ herauskommen muß. Für das Gerechtigkeitsgefühl und die Gleichbehandlung mit anderen Kriminellen muß eine gewisse Strafe abgesessen werden, aber nicht im Sinne von ewiger Sühne, daß die nie wieder raus dürfen. Andererseits kann ich mir schon vorstellen, daß man gerade mit den RAF- Leuten, die noch draußen sind, verhandelt, ob die sich nicht stellen wollen. Dann könnte man zum Beispiel anbieten, einen Prozeß zu machen, aber dort die Haftstrafen etwas zu reduzieren. Ich kann mir vorstellen, daß dies ein Weg sein kann, um dann wirklich einen Schlußstrich zu ziehen.