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Für immer Maus

von UTE SCHEUB

Die Sendung mit der Maus ist seit dreißig Jahren die erfolgreichste Volkshochschule der Republik: Von Kindern geduldet, dürfen Millionen Erwachsene mitgucken und mitlernen, wie die Streifen in die Zahnpasta kommen, wie das Internet funktioniert oder wer den Radiergummi erfand.

„Erwachsene sollen sich auch mal amüsieren dürfen“, befindet der siebenjährige Paul gönnerhaft. Deshalb erlaubt er seinen Eltern, jeden Sonntagvormittag in der ARD mit ihm zusammen „Die Sendung mit der Maus“ anzuschauen: „Es könnte sein, dass sie dabei etwas dazulernen.“ Das tun sie. Und zwar massenhaft. Auch morgen zur Feier des 30. Geburtstages der Maus wird das nicht anders sein.

Die Maus für Große

Von den zwei bis drei Millionen ZuschauerInnen, die sich jede Woche die „Maus“ anschauen, sind mindestens die Hälfte erwachsen. Wie viele ohne sachgerechte Begleitung durch ihre Kinder vor der Kiste hocken, ist nicht bekannt, aber es dürften eine Menge sein.

Immer wieder hören die „Maus“-MacherInnen Kommentare wie: „Wissen Sie, wir gucken jetzt alleine weiter, unsere Kinder sind ja schon groß.“ Oder: „Ich habe schon als Kind die ,Maus‘ gesehen und damit einfach nie aufgehört.“

Das ist kein Wunder: Die Maus bietet Überlebenshilfe der feinsten Art. Wo sonst bekommen die zwar als ausgewachsen geltenden, aber in ihrer hochkomplexen Gesellschaft hoffnungslos verstrickten Menschen die Dinge des Alltags erklärt?

Wo sonst können sie erfahren, wie ihr Faxgerät funktioniert oder das Internet, oder ein Atomkraftwerk – und zwar so, dass sie es auch wirklich kapieren? Wo sonst bringt man ihnen schonend bei, wie die Löcher in den Käse kommen oder die Streifen in die Zahnpasta, oder warum die Blätter im Herbst bunt werden?

Wo sonst kriegen sie frei Haus die Erklärung geliefert, wie der Mais in die Dose und der Saft in die Tüte kommt?

Wie viele Beine ein Tausendfüßler hat? (Ungefähr 90.)

Wie viele Lebewesen in einer Handvoll Erde leben? (1.520.814.880.)

Wann der Radiergummi erfunden wurde? (1621, als Nikolaus von Radier seiner Tochter Elvira beim Malen zuschaute und anschließend einen Löschapparat aus Gummi erfand.)

Und was der Unterschied zwischen einer katholischen und einer evangelischen Hostienbäckerei ist? (Die KatholikInnen stanzen ihre Hostien vollautomatisch, die ProtestantInnen mit der Hand.)

Die Sendung mit der Maus ist seit dreißig Jahren die erfolgreichste Volkshochschule der Republik. Sie vermittelt, was moderne Erwachsene wissen müssen. Und damit die sich vor der Glotze nicht ganz so alleine fühlen, hat sich die „Maus“ als Kindersendung getarnt.

Was aber, wenn die wichtige fachliche Beratung der erwachsenen Zuschauer durch minderjährigen Begleitschutz ausbleibt? Wenn der volljährige Fan kinderseelenallein seiner Maus-Sucht ausgeliefert wird?

Zum Glück haben MedienpädagogInnen vor kurzem Entwarnung gegeben: „Von Spätschäden durch allzu heftigen Maus-Konsum ist uns noch nichts bekannt geworden. Dennoch möchten wir vorsorglich alle Kinder auffordern, ihre Eltern nicht unbegleitet an den Anschalteknopf des Fernsehers zu lassen. Ganz wichtig: Gespräche nach der Sendung helfen den Erwachsenen, das Gesehene besser zu verarbeiten.“

Gert K. Müntefering schien das alles vorausgeahnt zu haben. 1970 ersann er als leitender Redakteur des WDR-Kinderfernsehens das Konzept der „Lach- und Sachgeschichten“. Heute ist er Pensionär. Die Sendung sei von Anfang an „immer offen genug für etwas ältere Kinder“ gewesen. „Die Erwachsenen“, fügt er hinzu, „wissen nämlich auch nicht so viel mehr als die Kinder, sie machen nur ein klügeres Gesicht.“

Eines der größten Erfolgsgeheimnisse der „Maus“ besteht sicherlich im Prinzip der Kontinuität. Erwachsene lieben nun mal die Wiederholung, die leicht variierte Wiederkehr des Immergleichen, sie bieten ihnen in den immer schnelleren Veränderungen der globalisierten Welt einen Hort heimatlicher Geborgenheit. Anders als in vielen anderen öffentlich-rechtlichen Sendungen, die so lange „modernisiert“, beschnippelt und an die Machart der Privatsender angepasst werden, bis auch der letzte Fan unwiderruflich vergrault ist, sind die „Maus“-RedakteurInnen dreißig Jahre lang ihren Prinzipien treu geblieben.

Die orangefarbene Maus mit den Klimperaugen sieht immer noch so aus wie 1971 von Friedrich Streich gezeichnet. Der nette braune Maulwurf aus Prag hat seit seiner Einführung 1972 sein Outfit nicht gewechselt.

Der blaue Elefant ist seit 1975 blau. Die Ente marschiert seit 1987 in quietschgelb mit. Und auch der Oberlügenbold Käpt’n Blaubär darf seit 1991 dem Publikum die Hucke volllügen, ohne dass je der Rundfunkrat eingeschritten wäre.

Die Maus ist orange

1972, 1975, 1987, 1991 – an diesen Jahreszahlen kann man ablesen, mit welcher Behutsamkeit die Redaktion neue Figuren einführte. Oberstes Gebot war immer, ihre erwachsene Fangemeinde nicht in unnötige Identitätskrisen zu stürzen, indem alte Gewissheiten in Frage gestellt wurden.

Dieses Prinzip der Werktreue, das man in heutigen Zeiten gar nicht genug hochleben lassen kann, führte sogar so weit, dass Maus-Moderator Christoph Biemann seit dreizehn Jahren dasselbe grüne Sweatshirt tragen muss. Die Maus ist orange und Christoph ist grün – etwas anderes würde wahrscheinlich eine Staatskrise auslösen.

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