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Für einen Schutz der Schuldnerländer

Ein Schuldenerlaß für die hochverschuldeten Staaten ist nicht alles. Entwicklungspolitische Gruppen fordern ein internationales Insolvenzrecht, das vor zu hohen Forderungen der Gläubiger schützen soll  ■   Von Maike Rademaker

Köln (taz) – Der Kölner Weltwirtschaftsgipfel war ein Erfolg für die Entschuldungskampagne: Die 7 reichsten wollen 41 ärmsten Ländern bis zur Hälfte ihrer Schulden zu erlassen. Also alles in Butter? Nein, sagt die Kampagne Erlaßjahr 2000, die Schuldenkrise ist längst nicht vorbei. Sie konzentriert ihre Arbeit nach dem G-7-Gipfel darauf, einen Schutz für überschuldete Länder und vor allem deren Bevölkerung vor den Gläubigern zu erkämpfen.

Wenn sich in Deutschland jemand mit dem Kauf einer Schrankwand oder einer Wohnung völlig überschuldet, bleibt ihm seit Anfang dieses Jahres eine Rettung vor jahrelangen Demütigungen: das Insolvenzrecht. Außergerichtliche Einigung, Schuldenbereinigungsplan, jahrelanges Wohlverhalten geben dem Schuldner eine Aussicht auf ein neues, normales Leben. Für die Entwicklungsländer, mittlerweile mit über zwei Billionen Dollar bei Banken und Regierungen verschuldet, gibt es solch einen Hoffnungsschimmer nicht. Noch nicht.

Vorbild für die Idee ist das neunte Kapitel des amerikanischen Insolvenzrechts, das die Verhandlungen zwischen überschuldeten Gemeinden und ihren Gläubigern regelt. Dahinter steht der Gedanke, daß bei der Verschuldung einer öffentlichen Institution nicht die Bevölkerung leiden soll. Ein Minimum an Gesundheitsversorgung, Bildung, Infrastruktur muß gewährleistet sein.

Nach diesem Modell soll auch das internationale Insolvenzrecht aufgebaut werden. Gläubiger und Schuldnerland, so die Vorstellung der entwicklungspolitischen Organisationen, sollen sich vor einem neutralen Schiedsgericht treffen. Beide Seiten müssen dabei offenlegen, welche Schulden gemacht wurden, wofür die Kredite vergeben wurden, welche Steuereinnahmen es gibt. Kein einfacher Akt: Immerhin müssen auch korrupte Regierungen zeigen, wohin das Geld gegangen ist.

Als Vertretung für die Bevölkerung bekämen Gewerkschaften und soziale Organisationen die Möglichkeit, ihre Ansprüche zu formulieren. In den Verhandlungen soll zudem geklärt werden, welcher Betrag aus den Steuereinnahmen nötig ist, um der Bevölkerung eben dieses Minimum an Versorgung zu geben – nur was darüber hinausgeht, soll in die Schuldentilgung gehen. Im letzten Schritt wird ein Zahlungsplan aufgestellt.

Nicht alle Schulden eines Landes sollen überhaupt zurückgezahlt werden müssen. Hat zum Beispiel die Weltbank durch falsche Einschätzungen zu einer Anhäufung der Schulden beigetragen, halten die NGOs die Tilgung für nicht gerechtfertigt. So nahm Brasilien auf Anraten der Weltbank für das Polonoreste-Programm 240 Millionen Dollar Kredit auf, um Tausende Bauern im Amazonas-Gebiet anzusiedeln. Das Projekt wurde zur absoluten sozialen und ökologischen Katastrophe – und zwang Brasilien, noch einmal 200 Millionen Dollar Schulden zu machen, um wenigstens ansatzweise den Schaden zu begrenzen. Für diese Kredite, so die Meinung der NGOs, sind nicht nur die Regierungen verantwortlich. Die Finanzinstitutionen mit ihren Topexperten sollen, wie Unternehmer auf dem freien Markt, bei ihren Entscheidungen das Risiko mittragen. Das würde sie künftig auch davor bewahren, leichtsinnig neue Kredite zu vergeben.

Von offizieller Seite wird der Vorschlag für „interessant und diskussionswert, aber schwer umsetzbar“ gehalten, so eine Sprecherin des Entwicklungsministeriums. Das größte Problem sehe man in der Souveränitätsfrage: Schließlich müßten sich sowohl die Regierungen der Gläubiger als auch die der Schuldner einem externen Gremium beugen. Auf dem Kölner Gipfel stand das Thema wegen seiner Komplexität erst gar nicht auf dem Programm.

Gegen ein internationales Insolvenzrecht spricht nach Ansicht der Gläubiger auch das Problem des sogenannten moral hazard: Mit der Aussicht auf die Insolvenzlösung würden die Länder allzu leichtfertig Schulden aufnehmen. Kaum ein Land wird aber andererseits so leicht eine öffentliche Bankrotterklärung leisten wollen: Investoren und neue Kreditgeber dürften schlagartig das Interesse an diesem Standort verlieren.

Peter Wahl von der Organisation Weltwirtschaft, Umwelt und Entwicklung (Weed) sieht die Vorbehalte der Gläubiger in einem anderen Licht: „Dahinter stehen einfach machtpolitische Gründe. Mit einem solchen Recht würde die Abhängigkeit der Entwicklungsländer reduziert, und man kann sie nicht mehr durch Strukturanpassungen an die Kandare nehmen.“

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