Für die Nazis gefährlich

■ Das Schanzenviertel: schon immer eine unruhige Gegend Von Andreas Albert

Begonnen hatte alles als Befestigungsanlage, von den Stadtoberen geplant und verwirklicht. In den Jahren der Besiedlung zog es vor allem ArbeiterInnen hierher, und der 1888 gegründete Schlachthof dominiert das Viertel bis heute. Während des Hamburger Aufstandes 1923 war das Schanzenviertel Schauplatz kleinerer Kämpfe. Besonders auf dem Heiligengeistfeld versammelten sich immer wieder ArbeiterInnen, um Demonstrationen durch die umliegenden Viertel zu führen, wobei es zu ständigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.

Für die Nazis war das Schanzenviertel gefährlich. 1930 kam es zur „Schlacht an der Sternschanze“, als SA-Leute das Viertel durchqueren wollten und auf einen Trupp KommunistInnen stieß. Bei diesen Auseinandersetzungen kam ein SA-Mann ums Leben, es gab elf Verletzte. Schauplatz waren die Straßenzüge Susannen- und Kampstraße, noch heute eine beliebte Stelle zum Barrikadenbau. Nach der Machtübernahme der Nazis kam es zu einem Feuerüberfall auf ein Nazilokal in der Schanzenstraße: Dort, wo heute ein italienisches Restaurant TouristInnen bewirtet, befand sich in den 30er Jahren der Nazi-Treffpunkt Hotel Adler. Im Februar 1933 griffen KommunistInnen das Lokal an, erschossen vier Menschen und verletzten zwei.

Später fanden im Schanzenviertel Mitglieder aus Widerstandsgruppen Unterschlupf. Diese mußten auch hier Niederlagen einstecken. Am Sternschanzenbahnhof überwältigte und verhaftete 1944 eine V-Frau der Gestapo Änne Bohne, Führungskader der kommunistischen Bästlein-Gruppe.

Der Bahnhof war der Ort, an dem 1980 bei einer Anti-Strauß-Demo die Polizei einen Demonstranten auf die Gleise trieb. Der 16jährige wurde von einer S-Bahn erfaßt und erlag später seinen tödlichen Verletzungen. In den achtziger Jahren hielt dann der Häuserkampf Einzug ins Viertel. In der Amandastraße beendete 1981 das Mobile Einsatzkommando eine Hausbesetzung – nach der Vorgabe, Besetzungen nach 24 Stunden zu beenden.

Die Auseinandersetzungen um die geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen im Viertel nahmen 1988 mit der Verhinderung des Musical-Projektes Phantom der Oper neue Dimensionen an. In diese Zeit fällt die Gründung der berüchtigten E-Schichten der Polizei. Die an der Lerchenwache stationierten BeamtInnen zeichneten sich dabei durch besondere Härte aus. Mittlerweile wurden diese Einheiten aufgelöst, was vor allem dem öffentlichen Druck – auch von amnesty international – zu verdanken ist.

1988 verhinderte eine breite Bewohner-Allianz die Ansiedlung einer Musicalkultur mit teuren Restaurants, Parkplatzsuchenden und TouristInnenströmen. In der Folge wurde im November 1989 das Flora-Theater besetzt; das Gebäude, in dem ursprünglich das Musical abgespielt werden sollte, wurde zur Roten Flora, zum Kommunikations- und Kulturzentrum, dessen Parties heute auch ein Publikum anziehen, das in den Anfangstagen keinen Fuß hineingesetzt hätte.

Bei der Phantom-Premiere am neuen Standort an der Stresemannstraße kam es 1990 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und DemonstrantInnen, die sich später noch in die Hafengegend verlagerten.

Als 1991 die Polizei den Flora-Park mit äußerster Härte räumte, war der Widerstand erfolglos. Die letzten Barrikadenkämpfe erlebte das Viertel nach den Demonstrationen gegen die Morde von Solingen. Nicht nur die Polizei, auch die autonome Szene wurde dabei von den Auseinandersetzungen regelrecht überrascht. Es gab heftige Straßenschlachten, zeitweise verlor die Polizei die Kontrolle über das Viertel.

Zum neuen Kristallisationspunkt der Konflikte im Schanzenviertel wurde danach das Laue-Gelände in der Schanzenstraße, das immer wieder besetzt wurde. Seit Dezember gibt es erstmals Anzeichen für eine Einigung zwischen Besetzern und Eigentümern.

Auch wenn die Auseinandersetzungen sich jetzt zum Karolinenviertel hin zu verschieben scheinen: Das rührige Schanzenviertel wird kaum zur Ruhe kommen.