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Für acht Mark Stundenlohn Klamotten nähen

■ DGB: Ein Einfrieren der Löhne in Ostdeutschland brächte wenig

Berlin (taz) – Ein verlangsamter Anstieg der Löhne und Gehälter in den neuen Bundesländern ist weder sozialpolitisch akzeptabel noch volkswirtschaftlich sinnvoll. Diese Ansicht vertritt der Referatsleiter Tarifpolitik beim DGB, Reinhard Dombre. Ein paar Prozente Lohn weniger könnten in der Standortkonkurrenz beispielsweise zu osteuropäischen Ländern keine so zentrale Rolle spielen, denn die Lohnkostenunterschiede seien hier schon immens.

Dombre lehnte damit den Vorschlag des SPD-Wirtschaftsexperten Oskar Lafontaine ab, Löhne und Renten in den neuen Bundesländern nicht so schnell steigen zu lassen, sondern an die Produktivität zu binden. Der Abteilungsleiter Tarifpolitik der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Peter Knevels, begrüßte zwar den Vorschlag Lafontaines, erläuterte aber gestern gegenüber der taz, die Spreizung der Einkommen innerhalb der verschiedenen Branchen in den neuen Bundesländern sei „schon erheblich“. Hier sei schon in den Tarifen eine gewisse Angleichung an die unterschiedliche Produktivität gegeben. In der Bekleidungsindustrie beispielsweise liegt der tarifliche Ecklohn für FacharbeiterInnen in den neuen Bundesländern bei rund acht Mark in der Stunde. „Trotzdem wandern Betriebe beispielsweise in die Tschechische Republik ab, wo die Stunde nur vier Mark kostet“, so Knevels.

Hasso Düvel von der IG Metall Dresden wies die These Lafontaines zurück, daß Investitionen im Osten dann finanzierbar seien, wenn die Zuwächse der Realeinkommen verlangsamt würden. Düvel erläuterte, daß sich im Frühjahr dieses Jahres beispielsweise in Sachsen die Arbeitskosten auf nur 47,5 Prozent der bayrischen Arbeitskosten beliefen. Dennoch würden bis zum Jahresende 1993 allein aus Treuhandbetrieben in Sachsen 9.300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen.

Das Problem für Investoren sind nicht die Lohnkosten, sondern ist die vergleichsweise geringe Produktivität pro Beschäftigten in den neuen Ländern. Nach einem Bericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) lag die Brutto-Wertschöpfungsquote im ersten Halbjahr 1993 in den neuen Bundesländern bei 43 Prozent des Westniveaus. Die Bruttoeinkommen dagegen betrugen im Schnitt 70 Prozent des Westniveaus. Lafontaine hatte daher gefordert, diese Schere zwischen Produktivität und Löhnen dürfe sich „nicht zu weit öffnen“.

Kritiker allerdings weisen auf die inzwischen – bis auf die Mieten – fast gleich hohen Lebenshaltungskosten in den neuen Bundesländern hin, die ein Absinken der Einkommen nicht zulassen würden. Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes verfügte ein Haushalt mittleren Einkommens in den neuen Bundesländern im vergangenen Jahr über ein monatliches Einkommen von 3.465 Mark netto, während der entsprechende Haushalt im Westen pro Monat 4.769 Mark zur Verfügung hatte. Viele Haushalte in den neuen Bundesländern werden künftig auch nicht mehr Arbeitslosengeld, sondern nur noch die geringere Arbeitslosenhilfe und eventuell sogar Sozialhilfe beziehen, betonte gestern Düvel von der IG Metall.

In der Metall- und Elektroindustrie und auch in der Druckindustrie sind die Lohnangleichungen in Stufenverträgen bis zum Jahre 1995 festgelegt. Barbara Dribbusch

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