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■ SurfbrettFür Helmut Kohlund sein Ehrenwort

Manches muss einfach zweimal erfunden werden, weil es so gut ist. Im superschnellen Usenet gab (und gibt) es großartige Diskussionsgruppen. Wenn man will, kann man auch eine neue einrichten. Man kann dasselbe auch bei allen gängigen Suchmaschinen tun. Oder unter der Adresse www.eCircle.de. Dort gibt es schon ein paar tausend Foren (mindestens), es dauert nur „fünf Minuten“, ein neues einzurichten, heißt es auf der Homepage. Feine Sache, nur dass es nachher länger dauert als im guten alten Usenet, weil jetzt alles mühsam mit Skripts und Browser abgewickelt werden muss, was früher so elegant war. Macht aber nichts, wenn man einen Intel-Dino aus dem letzten Jahrhundert auf dem Schreibtisch stehen hat. Ein gewisser Herr Schreiber – auf seinem Fahndungsfoto hat er einen Balken über die Augen geklebt – hat ein Forum über Parteienfinanzierung eingerichtet. Er zieht mächtig vom Leder gegen alle Geschmierten. „Nicht kleckern, koffern“, sagt er, was wiederum eine gewisse Angela Merkel nicht schön findet, „verantwortungslos“ sogar. So geht es lustig weiter, nur haben die Webmaster den Witz nicht ganz verstanden. Sie führen nämlich eine auf solchen Servern zum Standard gehörende Meinungsumfrage durch. Letzte Woche galt es, die Frage zu beantworten, ob Helmut Kohl sein Ehrenwort brechen und die Spender nennen solle oder nicht. Satte 63 Prozent der eCircle-Gemeinde finden, Kohl solle der Ehrenmann bleiben, der er nun mal ist. Aber klar doch, nur hörten Webmaster plötzlich Volkes Stimme, weil sie irgendwo etwas über Onlinedemokratie gelesen hatten. Vollkommen verwirrt schrieben sie an alle Agenturen, das „deutsche Wahlvolk“ habe hiermit „erstmals“ eine Möglichkeit gehabt, seine Stimme abzugeben. Das kommt davon, wenn man alles noch einmal erfinden will. Warten wir's ab.

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