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Für Ausländer wächst nichts zusammen

Für Ausländer wächst nichts zusammen

Noch vor dem Mauerfall, nach einer Straßenschlacht zwischen Demonstranten und Polizei bei einer 1.-Mai- Demo, vertraute mir der Landespolizeipräsident bei einem Interview an: »Wie gut, daß in Kreuzberg türkische Familien wohnen, sie fühlen sich hier zu Hause, und die älteren Türken sorgen für Ruhe und Ordnung, die haben auf ihre Kinder einen besseren Einfluß als wir Deutschen. Sonst wäre in Kreuzberg alles noch viel schlimmer!«

Die Türken in Kreuzberg hatten kurz vor dem Mauerfall angefangen, sich in Berlin tatsächlich heimisch zu fühlen. Nach 30 Jahren Aufenthalt in Deutschland fingen sie sogar an, sich Gedanken zu machen, sich in Berlin niederzulassen. Einige Ausländer haben ihr Gut und Habe in der Heimat sogar verkauft, um in Berlin eine endgültige Bleibe zu erwerben. Es hat fast so ausgesehen, als ob die langwierigen Integrationsbemühungen der Ausländerbeauftragten des Senats ihr Ziel erreicht hatten, nämlich aus ehemaligen Gastarbeitern vollintegrierte Bürger zu machen...

Dann wurde die Mauer geöffnet... Ich habe selbst erlebt, wie sich Ausländer freuten, nicht nur deswegen, weil ein geteiltes Volk sich wieder zusammengefunden hatte, sondern auch, weil das Land und dementsprechend auch die Zukunftsperspektiven größer werden sollten. Dieser rosige Traum der Berliner Ausländer hat jedoch nicht lange gedauert. Das Licht der Hoffnung am Horizont hat schwarze Wolken mit sich gezogen.

Der starke Zustrom von Arbeitskräften aus dem Berliner Umland hat

zu größten Arbeitsplatzängsten geführt. Es ist kein Geheimnis, daß die Existenz eines Gastarbeiters ohne Arbeit in Deutschland durch das Ausländergesetz bedroht wird. Diese Angst um den Arbeitsplatz erzeugt auch in den Familien Spannungen — mit manchmal sogar dramatischen Folgen.

Dann kommen noch die Wohnungsprobleme, die schon vor dem Mauerfall das Leben der Ausländer erschwert haben. Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit — diese Probleme mögen nicht nur für Ausländer spezifisch sein. Dazu kommt aber noch als entscheidender Punkt eine neue Welle von Ausländerfeindlichkeit, die die 30jährigen Integrationsbemühungen zunichte macht. Seit den blutigen Überfällen, die ihren Anfang in Hoyerswerda nahmen, haben die Berliner Ausländer eine berechtigte Angst um ihr Leben. Damit haben sie auch ihre Zukunftsperspektiven verloren. Die erste Generation meint, die Mauer sei ihnen auf die Köpfe gefallen. Nicht nur die erste Generation der Türken in Kreuzberg, sondern die zweite und sogar auch die dritte Generation, die kaum noch türkisch spricht, spielt jetzt mit dem Gedanken zurückzukehren. Sie denken jetzt alle daran, in der Heimat Fuß zu fassen, um ohne ständige Angst leben zu können.

Vorteile hat dieses Zusammenwachsen der beiden Stadthälften für Ausländer kaum gebracht. Denn sie dürfen im Ostteil bis Ende 1992 keine Arbeit aufnehmen. Das sieht der Staatsvertrag vor. Außerdem wäre eine Beschäftigung im Osten wegen der Ungleichheit der Löhne kaum reizvoll. Trotzdem findet sich unter den Berliner Ausländern eine Minderheit, die aufgrund ihrer Selbständigkeit, sich die Hände reiben darf. Es sind beispielsweise die türkischen Lebensmittelhändler, die den Ossis ihre exotische, frische Ware für günstige Preise anbieten können. Oder auch clevere Bauarbeiter, die sich zum Unternehmer gemausert haben. Die letzteren putzen gerade den gröbsten Schmutz aus dem Ostteil und machen dabei das Geschäft ihres Lebens.

Ansonsten aber sieht es so aus: Die Mauer ist gefallen, ein geteiltes Volk hat sich vereinigt, aber eine Minderheit, die zu diesem Volk gehören sollte, wurde von der Gesellschaft ausgeschlossen. Es wächst zusammen, was zusammengehört, die Ausländer gehören anscheinend aber nicht dazu...

Der Autor ist Chefredakteur der in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitung 'Hürriyet‘. In der »Stadtmitte« schreiben Berliner über die Probleme der Stadt und des Zusammenwachsens beider Stadthälften.

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