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Für 1.000 Euro Arme gucken

Betr.: „Übung für Chefs: zuhören“, taz bremen vom 23./24.11.02

Lesen taz-bremen-AutorInnen eigentlich auch mal den Hauptteil der taz? Dort erschien vor kurzem eine Artikel-Serie über die Abgründe praktischer Sozialarbeit. Jetzt lässt sich die Autorin für ein unsägliches Projekt der Geldbeschaffung vor den Werbekarren der Freiwilligen-Agentur spannen. Für eine Gastrolle in einer sozialen Einrichtung bezahlen Führungskräfte aus der Wirtschaft laut Zeitungsbericht 1.000 Euro die Woche. Durch diesen „Transfer“ sollen sie sensibilisiert werden, um in Zukunft ihren MitarbeiterInnen besser zuzuhören. Zunächst einmal widerspricht eine solche Erwartung allen Forschungen über Lernstrategien. Wer im Betrieb zuhören will, muss das schon an Ort und Stelle üben. Im Übrigen ist das Lernen von Sensibilität auch in sozialen Einrichtungen nicht garantiert. Da sich auch buten un binnen von der Werbung für das Programm hat düpieren lassen, gibt es Bildmaterial, das diese Behauptung belegt. Die beiden Führungskräfte, die am ersten Durchgang von „Transfer“ teilgenommen haben, demonstrierten jedenfalls, dass sie in den paar Tagen nichts gelernt haben. Die weibliche Führungskraft riet einem Gesprächspartner vor laufender Kamera, mit dem Trinken aufzuhören. Als ob er sich solche Ratschläge nicht selbst geben könnte. Und der Kollege, der in einer Einrichtung für psychisch Kranke hospitierte, redete vor laufender Kamera nicht etwa mit den Kranken, sondern in deren Beisein über sie. Mangelnder Lernerfolg auf Seiten der Führungskräfte wäre nicht das Schlimmste, aber dieses Projekt instrumentalisiert Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Sie sollen dafür herhalten, dass Einrichtungen zu Geld kommen und die Freiwilligen-Agentur eine gute Presse bekommt. Dafür wird ihnen dann auch noch abverlangt, dass sie den Führungskräften Gelegenheit geben, ihre Sensibilität zu üben, indem sie mit diesen Fremden über sich selbst reden. Ganz ebenso wie in anderen Milieus gibt es auch in Hilfeeinrichtungen einzelne Gäste und Bewohner, die sich missachtet fühlen, wenn ihnen nicht zugestanden wird, Fremden gegenüber zunächst einmal reserviert zu sein. Das Projekt „Transfer“ ist solchen Bedürfnissen gegenüber völlig unsensibel. Genau besehen läuft es deshalb auf nichts anderes hinaus, als auf ein Bildungsangebot unter dem Motto: „Für 1.000 Euro eine Woche Arme gucken“.

Heide Gerstenberger, Mitarbeiterin der „Tasse“

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