Fünfter Advent: Das Ende der Besinnlichkeit
Einen Tag nach den Weihnachtsfeiertagen stürmen die Menschen die offenen Geschäfte. Sie kaufen und kaufen - mehr als im Advent.
Die Weihnachtszipfelmützen gehen nicht mehr. Aber das ist auch der einzige Artikel, der an der Holzbude in den Potsdamer-Platz-Arkaden zum Ladenhüter geworden ist. "Pyramiden und kleine Dekowaren kaufen die Leute nach wie vor", sagt die junge Verkäuferin. "Das heben die auf bis nächstes Jahr." Die Frau trifft die Stimmung am Sonntag nach Weihnachten: Es wird gekauft, umgetauscht und eingelöst, was das Zeug hält. Wohl auch, weil einige Konsumtempel geschlossen bleiben, ballt sich in den offenen Geschäften am Potsdamer Platz oder in der Galeria Kaufhof am Ostbahnhof die Kundschaft.
"Ich finde es gut, dass die Läden offen haben", sagt Andrea Brillisauer. Die Brandenburgerin ist mit Mann und Kind angereist, um einen Weihnachtsgutschein in einer Buchhandlung einzulösen. "Offene Sonntage geben einem die Freiheit, dann einzukaufen, wann man will." Auf die Frage nach dem Spaßfaktor angesichts der Menschenmassen wird sie dann doch nachdenklich. "Grenzwertig" sei die Atmosphäre.
Beim Elektromarkt zieht sich die Schlange bis weit ins Geschäft hinein. Die Frau an der Information will ohne Geschäftsführer keine Auskunft geben. "Schauen Sie doch mal, was hier los ist", sagt sie mit Blick auf die Kassenschlangen dann doch, und dass es "definitiv mehr" sei als an den Adventssonntagen. Auch in der Buchhandlung sind die Wühltische umrundet, in den Bekleidungsgeschäften warten Menschen vor den Umkleiden. Die Filialleiterin einer Modekette bestätigt: "Im Vergleich zum Advent läuft es heute viel besser." Zuvor, das sei ja kein richtiges Weihnachtsgeschäft gewesen. Aber an diesem Sonntag, da würden die Kunden zugreifen.
Ein ähnliches Bild bietet sich in der Galeria Kaufhof am Ostbahnhof. "Der Sonntag ist der umsatzstärkste, das wussten wir schon vorher", sagt Geschäftsführer Stefan Glieden. Dabei profitiere das Kaufhaus auch davon, dass etwa die Geschäfte am Alexanderplatz geschlossen hätten. Viele Kunden lösten zudem ihre zum Fest erhaltenen Gutscheine ein, andere wollten umtauschen - "alles, was mit Größen zu tun hat", wandert gern zurück über den Kassentisch.
Im Kaufhof erinnern zumindest die um die Hälfte reduzierten Weihnachtsmänner und Lebkuchen daran, dass am Tag zuvor noch Weihnachten war. Am Potsdamer Platz sind es höchstens die offenbar prall gefüllten Geldbeutel, die einen Bezug zum Fest der Besinnlichkeit herstellen. Die Menschen schieben und drängeln, essen asiatisch und wienerisch, und vor der Eisdiele stehen die Menschen wie eh und je Schlange. "Weihnachtsstimmung hatte ich sowieso nie", sagt die Berlinerin Monika Mittag. In der Hand hält sie eine Waffel mit Schokoladeneis, das hier "Coffeetime" heißt. "Sonntag offen, ist doch gut, kommt mal Leben in die Bude." Gekauft hat Mittag nichts, sie wollte aus Langeweile nur mal gucken und Eis essen. "Aber die Leute rennen hier schon wieder mit Tüten lang, also von der Wirtschaftskrise habe ich noch nichts gesehen."
Auch Annett Engel trägt eine Tüte. Ihre Kaffeemaschine hat an Heiligabend den Geist aufgegeben - jetzt sollte eine neue her. "Da wollten wir nicht bis Montag warten", sagt die Berlinerin und bekennt zugleich, dass ihr die Menschen hier doch zu viel sind. Ihr Partner indes sieht das anders. Auf die Frage, warum er sich unmittelbar nach den Feiertagen ins Getümmel stürzt, sagt er: "Damit man mal rauskommt."
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