Führender Neonazi in U-Haft: Gewaltbereiter "Überzeugungstäter"
Ralf Wohlleben war das Bindeglied zwischen der NPD und den Neonazi-Kameradschaften. Seine Festnahme wird die Debatte um ein NPD-Verbot befeuern.
BERLIN taz | Der Verdacht kursierte seit Tagen, jetzt hat die Polizei den Thüringer Neonazi Ralf Wohlleben festgenommen. Und wenn alles stimmt, was die obersten Terrorermittler Deutschlands ihm vorwerfen, dann hat nicht nur er ein Problem, sondern auch die NPD.
Schon seit Anfang der 90er war Wohlleben eng mit den späteren Terroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe befreundet. Zusammen tauchten sie im Jugendzentrum in Jena-Winzerla auf, bis sie Hausverbot bekamen. Ab 1996 bildeten sie den Kern der Kameradschaft Jena im "Thüringer Heimatschutz". Auf Fotos aus dem Jahr marschiert der hagere Wohlleben in Armeehosen und Springerstiefeln aus einem Erfurter Gerichtsgebäude. Vor ihm: Mundlos und Böhnhardt, die eineinhalb Jahre später mit Zschäpe in den Untergrund abtauchten.
Die Ermittler gehen inzwischen davon aus, dass Wohlleben die Verbindung zu seinen alten Kameraden nie gekappt hat. Mehr noch: Er soll dem Terrortrio bei der Flucht geholfen, von ihren Taten gewusst und ihnen vor rund zehn Jahren über einen Kurier eine Waffe samt Munition geschickt haben. Auch wenn es sich dabei nicht um die Waffe handeln kann, die der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) für die Hinrichtung von neun Migranten benutzte, wirft die Bundesanwaltschaft ihm Beihilfe zum Mord in mehreren Fällen vor.
Wohlleben habe "billigend in Kauf" genommen, "dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden könnte", so die Anklagebehörde. Seit Dienstag sitzt er in U-Haft. Zuvor hatte er gegenüber der Presse noch bestritten, etwas mit den Taten zu tun zu haben.
Aufstieg in der NPD
Die Festnahme von Wohlleben wird die Debatte um ein NPD-Verbot weiter befeuern. Denn: Wohlleben war nach dem Untertauchen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zeitweise zu einem der führenden Kader der NPD in Thüringen aufgestiegen. Er wurde Kreischef in Jena, Pressesprecher und schließlich von 2002 bis 2008 Vizelandeschef. 2010 verließ er zwar die Partei, blieb ihr aber weiter eng verbunden, wie interne E-Mails zeigen, die der taz vorliegen.
Wohlleben war lange das Bindeglied zwischen der NPD und den Neonazi-Kameradschaften in Thüringen. Die Zusammenarbeit sei "für beide Seiten effektiv, ja sogar notwendig", schrieb er selbst 2005 im Internet. Für die enge Verbindung der rechtsextremen Spektren steht das "Braune Haus" in Jena-Lobeda, die ehemalige Gaststätte "Zum Löwen".
Wohlleben hatte sie im Jahr 2002 zusammen mit anderen Neonazis in ein "nationales Wohn- und Schulungsobjekt" umgebaut. Über die Jahre fanden dort immer wieder NPD-Parteitage, Kameradschaftstreffs, Vorträge und rechtsextreme Liederabende statt. Inzwischen wurde das Haus aus baurechtlichen Gründen geschlossen, doch laut Beobachtern fanden im Garten noch vor kurzem in einem NVA-Zelt rechtsextreme Events statt.
Ein rechtsextremer Webmaster
Einen der "führenden Neonazis" des Landes nennt der Thüringer Verfassungsschutz Wohlleben in einem seiner Berichte. Die Mobile Beratung in Erfurt nennt ihn einen "Überzeugungstäter". Immer wieder meldete Wohlleben Demos an, organisierte den "Thüringentag der nationalen Jugend" oder das "Fest der Völker", bei dem rechtsextreme Redner und Skinhead-Bands aus ganz Europa auftraten. Er selbst zeigte sich bei Demos gerne in schwarzer Lederjacke und skandierte: "Hier marschiert die deutsche Jugend!"
Von Beruf ist Wohlleben Informatiker, und so fungierte er für die rechtsextreme Szene in Thüringen auch als Webmaster. Er stellte der NPD und loser organisierten Nazi-Gruppierungen Speicherplatz für Internetseiten zur Verfügung. Als 2006 sein Server gehackt wurde, waren ein Drittel der rechtsextremen Seiten Thüringens nicht zu erreichen.
Wohlleben mischte auch beim "Freien Netz" mit, einem Zusammenschluss von Kameradschaften aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In einem internen Forum, das der taz kürzlich zugespielt wurde, besprachen die Neonazis militante Aktionen. Auf den Vorschlag, beim Nazi-Aufmarsch in Dresden 2009 "die Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln", antwortete Wohlleben: "Die Wache der Miliz anzugreifen, findet bei uns bestimmt auch breite Zustimmung."
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