■ Bonn apart: Friedhofsweisheiten
Auf einem Grabstein in Venedig steht: „Und ist es schön gewesen, dann ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Der Mann, dem dieser schöne Spruch auf den letzten Weg gegeben wurde, heißt Gotthilf Pedro Herion. Wir kannten ihn nicht, wissen nur, daß er am 10. Dezember 1887 geboren und am 7. Januar 1983 gestorben ist. Möge er im Himmel Gelegenheit zu rechtschaffener Arbeit finden.
Damals wußte man den Wert der Arbeit noch zu schätzen. Heutzutage fragen wir zuerst nach Geld und dann danach, wie wir die Arbeit vermeiden können. Ist es nicht so, daß wir ein Volk von Blaumachern sind, und das nicht nur in der Kneipe? Und kann uns, bitte schön, mal jemand erklären, warum auf einmal 4,7 Millionen Arbeitslose behaupten, angeblich keine Arbeit zu finden? In den 60ern, als die Moral noch intakt war, da hatten wir ja auch Vollbeschäftigung. Alles eine Frage des Wollens. Drum hat Dieter Hundt, der neue Arbeitgeberpräsident, recht: Arbeitslose zur Erdbeerernte!
Damit schlagen wir gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zum einen brauchen wir nicht mehr so viele Ausländer ins Land zu holen, die uns, wie wir vom Bundeskanzler wissen, nur die Arbeitsplätze wegnehmen. Außerdem werden unsere verwöhnten Arbeiter wieder an bodenständige, ehrliche Arbeit gewöhnt. Zudem könnte Deutschland endlich wieder ein bedeutendes Agrarland werden. 4,7 Millionen Arbeitslose würden pro Tag mindestens 4,7 Millionen Erdbeeren pflücken – wenn keiner blaumacht. Zudem würden deutsche Pflücker das Vertrauen in die Qualität der deutschen Erdbeeren enorm steigern. Die Bundesrepublik Deutschland würde zum größten Erdbeerexporteuer der Welt. Wir wären wieder wer.
Hundts Vorschlag hat einen Haken. Was, wenn keine Erdbeerzeit ist? Sollen Arbeitslose dann Däumchen drehen? Wir schlagen vor, sie dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden: als Erntehelfer in den kubanischen Zuckerrohrplantagen oder als Kaffeebohnenpflücker in Brasilien. Das hätte einen feinen Nebenaspekt. Wir wären die Arbeitslosen erst mal los. Markus Franz
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