: Friedfertiger und toleranter Islam?
betr.: „Duldung und Demütigung“, von Siegfried Kohlhammer, „Das Gesetz“, (Randspalte zum Artikel), taz Magazin vom 21. 9. 02
Dem Autor geht es darum, eine „dogmatische Islamophilie“ zu kritisieren, die behaupte, dass der Islam per se eine friedliebende Religion sei – und damit hat er erst einmal Recht. Er tut dies insbesondere an Hand der Kritik an dem im Mittelalter und früher Neuzeit praktizierten dhimmi- bzw. milliet-System, dass den Anhängern der „Buchreligionen“, also insbesondere Christen und Juden, gegenüber praktiziert wurde. Er zeigt an Hand von Beispielen, die mir nicht alle bekannt sind, aber durchaus möglich scheinen, dass es hierbei nur um eine sehr eingeschränkte, von Pogromen unterbrochene Duldung gegangen sei. Soweit, so gut (oder auch nicht).
Das Problem ist aber, dass er implizit diese Erscheinung des Mittelalters an dem misst, was wir heute unter Toleranz verstehen, und da sieht sie in der Tat bescheiden aus. Ein solches Verfahren scheint mir aber nicht zulässig. Er müsste vergleichen, wie die „Toleranz“ des Islams im Mittelalter gegenüber der damals vom Christentum praktizierten aussieht, und da stellt sich die Lage anders dar.
Trotz aller von ihm erwähnten Ausschreitungen scheint es unbestreitbar, dass die schnelle Expansion des Islam im frühen Mittelalter mit auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die Muslime von monophysitischen Christen in Syrien und Ägypten, nestorianischen Christen in Persien und den Juden in Spanien überwiegend als Befreier von der Repression durch die orthodoxen Byzantiner, die zoroastrischen Sassaniden und die katholischen Westgoten wahrgenommen wurden; dass es den Juden in islamischen Ländern trotz gelegentlicher Pogrome insgesamt sehr viel besser ging als in den christlichen; und wo es schließlich den direkten Vergleich gibt, bei der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter 1096 und der durch Saladin 1187, so endete die erste in einem Blutbad, die zweite nicht.
Beim Vorgehen des Autors dagegen wird der Lesende von nur sehr eingeschränkt erfreulichen Phänomenen des Mittelalters auf den Islam an sich und ohne Umschweife auf die von Islamisten verübten Massaker des 11. September gelenkt, die man bei besserer Kenntnis des „Islam“ möglicherweise hätte verhindern können. (So verstehe ich zumindest den ersten Absatz.) Dieser Eindruck wird verstärkt durch den Rest der Zeitungsseite, das Foto fanatischer Islamisten und vor allem die ziemlich unsägliche Seitenspalte mit Informationen von Pico Karron, wo die fett gedruckten Teile in folgender Reihe ablaufen: Scharia – Diskriminierungen – Saudi-Arabien – Steinigungsurteile – Ehebruch – ausgepeitscht – drei Millionen Muslime in Deutschland – Islam nicht mit Demokratie vereinbar (Schily) – Islamismus Sicherheitsrisiko Nummer 1 (Verfassungsschutz). Soll man das noch kommentieren ? ANDREAS UNGER, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen