piwik no script img

Friedensvertrag in KolumbienAngst vor den Paramilitärs

Was erwarten KämpferInnen vom Frieden zwischen Farc und Regierung? Die taz sprach mit Gueriller@s auf einer Konferenz im Dschungel.

Farc-Gueriller@s: Sie sehen sich als KämpferInnen für ein besseres Kolumbien Foto: dpa

Martha, 33 Jahre

Marta will keine Kameras und auch das Tonbandgerät sollen wir nicht einschalten. Mit einer Handbewegung bittet sie uns, Platz zu nehmen in dem, was sie zuvor spöttisch als ihr Haus bezeichnet hat. Sie setzt sich auf ihre Holzpritsche, wir nehmen auf tarnfarbenen Klapphockern Platz. Auf einem schmalen, unebenen Brett stehen ihre Habseligkeiten: eine Rolle Klopapier, eine Flasche des Malzgetränkes Pony Malta, ein Gillette Deoroller, ein gelber Einwegrasierer. Ihr Gewehr hängt an einem Ast, an dem zugleich die Plane angebracht ist.

Wie alle Guerilleros trägt sie Gummistiefel und eine grüne Armeehose, dazu ein knallgelbes Oberteil und große, goldfarbene Ohrringe. Auf der Wäscheleine hinter der Plastikplane, die zugleich ihre Hauswand ist, baumeln Büstenhalter und das weiße T-Shirt mit der Aufschrift: FARC-EP: 52 años de lucha por la Paz – 52 Jahre Kampf für den Frieden. Das sieht man in dem Camp in den Llanos de Yarí immer wieder, weiße T-Shirts mit dem Wort Frieden vor dem undurchdringlichen Grün des Dschungels.

Marta ist 33 Jahre alt und seit 19 Jahren bei der Farc, also seit sie vierzehn ist. Sie kommt aus dem Departamento Meta südöstlich der Kordilleren, und mit vierzehn gilt man dort als erwachsen, wie überall in den ländlichen Gegenden Kolumbiens. Sie hat sich in der Guerilla gut aufgehoben gefühlt und kämpft im Bloque Oriental.

Warum sie zur Farc gegangen ist? „Ich wusste nicht, dass es etwas anderes als den Konflikt gibt, ich kannte den Staat nur als Feind. Die Regierung hat die Bauern vergessen. Die Farc waren die Einzigen, die sich um uns gekümmert haben.“ Als sie von den nächtlichen Bombardierungen des kolumbianischen Militärs spricht, stockt ihre Stimme, Tränen sammeln sich in ihren Augen.

Was den Friedensprozess betrifft, vertraut sie der Guerillaführung. Sie will sich in die neue politische Bewegung einbringen und studieren. Wem sie nicht traut, das ist die Regierung. „Welche Garantien haben wir, wenn wir einmal die Waffen abgegeben haben? Die Paramilitärs werden uns abschlachten, wie zuvor.“ Skeptisch sieht sie die politische Bewegung, die aus der Farc hervorgehen soll, allein wegen der vielen Jahre im Dschungel, abgeschnitten vom politischen Geschehen. Sie, die Farc, seien überrascht gewesen, dass in San Vicente del Caguán, der einst von der Farc verwalteten Stadt, der Kandidat des rechten Centro Democrático gewonnen habe. „Das hat uns zu denken gegeben“, sagte sie und schaut auf die dunkle Erde vor uns.

Sie weiß nicht, wo die sogenannte Zone der Normalisierung und Transformation liegt, in die sie sich begeben muss, um ihre Waffe abzugeben, sie weiß auch nicht, wohin die Partei sie danach schicken wird. Gern würde sie reisen – und dann für die Bauern arbeiten. „Ich liebe das Land.“ Welche Texte, welche Bücher sie bei der Farc gelesen haben? Lange fällt ihr nichts ein. Marx? Lenin? Bei dem Stichwort Marx erinnert sie sich, die Judenfrage und die Deutsche Ideologie gelesen und diskutiert zu haben. Lateinamerikanische Autoren? Eduardo Geleano? Sie schüttelt wieder den Kopf.

Aldemar, 38 Jahre

An seinem Rucksack steckt ein roter Anhänger mit gelben Hammer und Sichel. Seine Augen sind wach und schnell. Die ersten Nachrichten vom Friedensprozess hat er „mit Optimismus“ aufgenommen. Seit 2013 wurden sie vom Fortgang der Verhandlungen durch regelmäßige Kommuniqués informiert.

Was sich verändert hat? „Das, was man Entführungen nennt, haben wir eingestellt. Sonst ging alles normal weiter, wenn der Feind sich eine Blöße gegeben hat, haben wir angegriffen“, sagt er mit einem Lächeln, bei dem seine weißen Zähne aufleuchten, dann wird er schlagartig ernst. Aber jetzt wird es ein neues Projekt geben, er wiederholt es in der Sprache der Führung: Wir demobilisieren uns nicht, sondern ändern die Form des Kampfes für ein besseres Kolumbien.

Er will Agrarwissenschaften studieren und der Landbevölkerung helfen. Im Gegensatz zu den anderen Gesprächspartnern weiß er, wo die Zone liegt, in der er seine Waffe abgeben soll, nämlich in Playa Rica, unweit dieses Camps und nicht weit weg von seiner Familie, die er seit 23 Jahren nicht mehr gesehen hat, nur vor fünf Jahren hat er kurz mit seiner Mutter telefonieren können. „Es ist besser für sie. Wenn der Feind herausbekommt, wer ich bin, ist meine Familie in Gefahr.“

Ob er der Regierung vertraut? Er lacht wieder. „Nennen wir das Kind doch beim Namen: Der Paramilitarismus ist es, den wir fürchten, und die Regierung muss die Sicherheit garantieren, sonst ist alles wertlos.“ Seit dem Friedensabkommen vom 24. August 2016 sind beinahe jeden Tag Aktivisten ermordet worden. Andererseits werde der Friedensprozess jetzt von der Internationalen Gemeinschaft überwacht, und das gibt ihm die Hoffnung, dass es diesmal funktionieren könne. Wie er sich ein künftiges Kolumbien vorstellt? „Ich wünsche mir ein anständiges Land, ein Land, in dem es Bildung und Gesundheit für alle gibt, eine solidarische Gesellschaft.“

Antonio, 21 Jahre

Anders als die meisten, mit denen wir gesprochen haben, kommt Antonio nicht vom Land, sondern aus der Großstadt Bogotá. Er wirkt trainiert. Seine Augen flackern nervös, während wir mit ihm sprechen. Er stottert. Jede unsere Fragen beendetet er mit einem höflichen, in dem Kontext fast unterwürfigen „sí, señor“.An einer Universität, die er nicht benennen möchte, hat er Politikwissenschaften studiert. Das Programm der Farc überzeugte ihn und so kam er hierher nach Yarí. Was den Friedensprozess betrifft, ist er optimistisch. „Viele aus der Zivilgesellschaft unterstützen uns und es gibt die Garantiestaaten.“ (Er meint Norwegen und Kuba).

Zugleich räumt er ein, dass sie vor allem die Paramilitärs fürchteten, wenn sie einmal schutzlos seien. Er will, wie alle, weiter studieren und ein neues Kolumbien aufbauen. Wo er leben möchte? Auch bei ihm soll das die Partei bestimmen: „Dort, wo ich am meisten gebraucht werde.“

Wir unterbrechen das Interview. Es ist sechs Uhr abends und Zeit für den Appell. Der Kommandant vergibt die Nachtwachen. Antonio entschuldigt sich, streift sich die Uniformjacke über und schultert sein Gewehr.

Der Appell endet mit einem „Es lebe Kolumbien!“, dann sprechen wir weiter. Wie wäre Kolumbien, wenn er Präsident wäre? Er überlegt lange und sagt dann: „Die Einnahmen aus dem Export der Bodenschätze müssen gerechter verteilt werden, das Geld soll in Bildung und Gesundheit fließen.“ Auf die Lektüre angesprochen sagt er: „Jeder Guerillero muss ein Buch bei sich haben. Ich lese Gramsci.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!