Friedensgespräche mit ELN in Kolumbien: Auswegsuche beim Weg zum Frieden

Zu Silvester waren in Kolumbien die Friedensgespräche durcheinander geraten. Jetzt versuchen beide Seiten, die Fäden wieder aufzunehmen.

Eine Motorradfahrerin steht an einer Straßenecke, im Hintergrund eine Hauswand mit mehreren Graffiti-Schriftzügen

Präsent an den Hauswänden, hier in Tumaco: Die linke ELN-Guerilla und die FARC-Abweichler Foto: Luisa Gonzalez/reuters

BOGOTÁ taz | Schweigen ist Gold: So könnte das neue Motto der Friedensgespräche zwischen der kolumbianischen Regierung und der ELN-Guerilla lauten. Nach dem Kommunikationsdesaster von Präsident Gustavo Petro an Silvester laufen jetzt hinter verschlossenen Türen Notfallgespräche.

Zum Jahreswechsel hatte Petro über Twitter einen multilateralen sechsmonatigen Waffenstillstand mit fünf bewaffneten Gruppen verkündet – darunter die ELN-Guerilla. Doch die ELN wusste nichts davon. Und die anderen vier Gruppen haben sich bis heute nicht offiziell dazu geäußert.

Analysten werteten Petros Erklärung als Druckmittel. Der Verhandlungsführer der ELN, Antonio García, sprach hingegen von einer „Krise“, denn es sei gegen Absprachen verstoßen worden. „Fehler und Krisen sind nicht schlimm, sie zeigen, dass wir menschlich sind und uns irren“, fügte er auf Twitter hinzu, forderte aber auch eine Richtigstellung.

Die Regierung und ihr Verhandlungsteam meiden bis heute das K-Wort. Allenfalls ein „Missverständnis“ habe es gegeben. Das sei mittlerweile ausgeräumt, meldete der Sender W Radio. Präsident Petro sagte hingegen noch diesen Donnerstag beim Weltwirtschaftsforum in Davos: „Wir haben keine einseitige Entscheidung getroffen.“

Reformen klappen nicht, wenn die Kämpfe weitergehen

Petros Vorpreschen hat den Zeitplan der Friedensgespräche umgeworfen: außerplanmäßiges Vorgespräch, dazu in Venezuela statt in Mexiko, mehrfach vorgezogen – und bis Ende dieser Woche statt nur einen Tag. Es ist offenbar einiges zu kitten.

Gustavo Petro steht an einem Rednerpult

Hat durch sein Vorpreschen alles durcheinander gebracht: Kolumbiens Präsident Gustavo Petro Foto: Luisa Gonzalez/reuters

Es gehe um drei Ziele, verriet Senatorin María José Pizarro von der Regierungs-Delegation der Zeitung El Espectador: „unseren Friedenswillen bekräftigen, Arbeits- und Kommunikationsmechanismen schärfen zwischen beiden Delegationen und vor allem für die Zeit zwischen den Gesprächsrunden – und drittens, Fortschritte beim bilateralen Waffenstillstand machen“.

Präsident Petro und seine Regierung haben den „totalen Frieden“ als ein Hauptziel ihrer Amtszeit ausgerufen. Ihre sozialen Reformen lassen sich kaum umsetzen, solange in weiten Teilen des Landes der bewaffnete Konflikt weitergeht. Nachdem 2016 Regierung und Farc-Guerilla das historische Friedensabkommen geschlossen haben, sollen jetzt alle übrigen bewaffneten Gruppen befriedet werden. Das sind je nach Schätzung zwischen 50 und 60.

Die größte verbliebene Guerilla ist die Nationale Befreiungsarmee ELN. Dazu kommen Farc-Dissidenzen, die sich nie dem Friedensabkommen angeschlossen oder nachträglich gegründet haben, und kriminelle Gruppen und Verbrecherkartelle, das größte davon ist der Golf-Clan.

Nutzen für die Menschen in den Konfliktregionen ist unklar

Sie alle haben gemeinsam, dass sie mit illegalen Aktivitäten (wie Drogenhandel, Abholzung, illegaler Bergbau, Erpressung, Menschenhandel, Mord) ihr Geld verdienen. Während die ELN Reste linker Ideologie und dementsprechend politische Forderungen in sich trägt, sind die meisten anderen Gruppen völlig unpolitisch und rein aufs Kriminelle bedacht. Sie dazu zu bringen, einem deutlich weniger lukrativen legalen Brotjob nachzugehen, ist eine Herausforderung.

Auch sonst ist der „totale Frieden“ eine Mammutaufgabe voller Schwierigkeiten. So hat sich der Generalstaatsanwalt Francisco Barbosa geweigert, auf Bitte der Regierung die Haftbefehle für 16 Mitglieder des Golf-Clans und der „Pache­cas“ aufzuheben. Das aber wäre die Voraussetzung dafür, dass diese ohne Angst vor Festnahme zu Gesprächen kommen können. Die bewaffneten Gruppen, die aus paramilitärischen Strukturen hervorgingen, hätten keinen politischen Charakter – und für Garantien an solche Gruppen fehle bisher das entsprechende Gesetz, argumentiert Barbosa.

Das sei besonders heikel bei den Bossen der Verbrecherkartelle, für die Auslieferungsbefehle der USA wegen Drogenverbrechen vorliegen. Im schlimmsten Fall könnten die USA die Aufhebung der Haftbefehle als Behinderung ihrer Justiz ansehen, warnt Barbosa.

Bisher ist es zu früh, um zu sagen, ob die Gespräche etwas für die Menschen in den Konfliktregionen gebracht haben, sagt Alejandro Restrepo. Er koordiniert den Bereich Frieden, Postkonflikt und Menschenrechte bei der Stiftung Frieden und Versöhnung (Fundación Pares) und war zum Auftakt der ersten Runde in Caracas. Auch seit dem Regierungswechsel seien Menschen in den bekannten Konfliktregionen weiter in Lebensgefahr.

Nächste offizielle Gesprächsrunde am 13. Februar in Mexiko

Lichtblicke gebe es nur vereinzelt: In der Region Norte de Santander haben ELN-Guerilla und Farc-Dissidenz Entführte freigelassen – wohl als Zeichen des guten Willens. In manchen Teilen der Pazifik-Region Chocó sei eine leichte Verbesserung zu spüren seit humanitären Vereinbarungen in der ersten Gesprächsrunde mit der ELN.

Und diese Woche brach eine „humanitäre Karawane“ aus Ver­tre­te­r:in­nen von ELN- und Regierungs-Delegation von Cali in die Pazifikregion auf, wo vor allem Indigene und Afro­ko­lum­bia­ne­r:in­nen zwangsvertrieben oder unter Ausgangssperren gestellt wurden. Die Karawane soll Wege finden, damit die Menschen wieder in Frieden dort leben können.

„Das Problem ist, dass der Waffenstillstand, wenn überhaupt, bisher nur mit dem Staat gilt – und nicht zwischen den bewaffneten Gruppen“, sagt Restrepo. Das bedeutet: Wenn eine Gruppe sich ihm anschließt, bombardiert zwar die Armee sie nicht mehr – aber die Machtkämpfe mit den anderen Gruppen gehen weiter. Unter diesen leidet die Zivilbevölkerung am meisten.

Außerdem seien immer noch keine Mechanismen festgelegt, um die Einhaltung des Waffenstillstands zu überprüfen. „Wir brauchen zudem eine verantwortungsvolle Kommunikation auf Seiten der Präsidentschaft und mit klaren Spre­che­r:in­nen innerhalb der Delegation.“ Auch der Zugang für Medien und soziale Organisationen müsse sich verbessern. Trotz der Schwierigkeiten ist er optimistisch: „Der Prozess wird nicht zusammenbrechen, er wird sich höchstens verzögern.“

Die zweite offizielle Gesprächsrunde soll am 13. Februar in Mexiko beginnen. Schwerpunkt sollen drei Themen sein: die Kommunikation, Teilnahme der betroffenen Bevölkerungsgruppen im Prozess und vor allem – ein Waffenstillstand.

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