Friedensbewegung will sich verjüngen: Gute Nacht, Freunde
Unter den neuen Friedensfreunden sind auch ein paar mit äußerst fragwürdigem Hintergrund. Kann ein Schulterschluss mit ihnen gelingen?
BERLIN taz | Es gibt da diesen schönen Satz: Wer zu allen Seiten offen ist, kann irgendwo nicht ganz dicht sein.
Das ist, natürlich, eine einfache Wahrheit. Aber wir wissen doch: Wenn es dann um die Praxis geht, ganz konkret, sind Toleranz und so weiter doch immer recht brauchbare Begleiter. Reiner Braun ist ein Mann, der seit Langem nach Wahrheit sucht, nach seiner. Eine davon ist, dass er stets auf der richtigen Seite stehen möchte. Wer möchte das nicht? Reiner Braun steht auf der Seite des Friedens.
Der Mann gehört zu den alten Bekannten der klassischen Friedensbewegung. Als Geschäftsführer der Ialana – der „Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen“ – ruft er seit Jahren immer wieder zu den Klassikern der pazifistischen Szene auf: zu Friedensdemonstrationen, zu Ostermärschen. Und es geht ja ebenfalls seit Jahren so, dass Braun und seine alten Gefährten sich dann stets diesen Vorwurf anhören dürfen: Sie feierten da eine Pazifismuspolitik der 80er Jahre. Sie seien nicht bereit für Erneuerung. Jetzt hat Reiner Braun sich bewegt. Jetzt hat er den Salat.
Denn aus dem, was eigentlich ein „Friedenswinter“ werden sollte – ein neuer Schulterschluss junger und alter PazifistInnen mit zahlreichen Veranstaltungen und einer Demonstration am 13. Dezember vor dem Sitz des Bundespräsidenten Gauck –, droht derzeit vor allem eines zu werden: eine neue Zerreißprobe der Friedensbewegung.
Wer verstehen will, wie diese Bewegung funktioniert, kann einer Spur folgen, die ihre eigene Logik hat. Es ist die Politik des Aufruf-Unterschreibens. Das Aufruf-Unterschreiben ist unter Linken ja eine Wissenschaft für sich. Eine Grundregel gilt dabei aber meist: Unterschreibe nicht mit, sagen wir, Antisemiten.
Die Alten: Die klassische Friedensbewegung bilden pazifistische Organisationen aus der alten Bundesrepublik wie die Deutsche Friedensgesellschaft, das Netzwerk Friedenskooperative oder die Ialana. Viele ihrer Aktivisten waren schon 1981 bei der legendären Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten dabei. Seitdem ist es – Ausnahme: Irakkrieg – um sie still geworden. Motto: Ostermärsche machen, überleben.
Die Neuen: 2014 fanden sich Demonstranten, die vorher kaum Bezüge zur Friedensbewegung hatten, zu "Montagsmahnwachen" ein. Sprachrohre der Bewegung sind Leute wie der Verschwörungstheoretiker Lars Mährholz und der umstrittene Journalist Ken Jebsen. Kennzeichen: undifferenzierte Medienschelte, Verschwörungstheorien und eine Israelkritik, die auch antisemitisch genannt werden könnte. (mk)
Tobias Pflüger ist ebenfalls ein altbekannter Friedenskämpfer. Der Pazifist ist stellvertretender Bundesvorsitzender der Linkspartei. Neulich reichten Reiner Braun und ein paar andere ihm einen Aufruf ein. Es ging um die Gauck-Demo und einiges andere. Unterschreiben sollten den Aufruf ein paar Prominente, Codename, hinter vorgehaltener Hand: die „Friedensschickeria“. Reinhard Mey etwa, Konstantin Wecker, die üblichen Verdächtigen halt. Am Ende unterzeichneten neben ihnen auch Sahra Wagenknecht und der frühere SPD-Staatssekretär und Umweltpolitiker Michael Müller.
Weil Pflüger ein angesehener Mann in der Szene ist, wurde auch er gebeten. Er unterzeichnete. Dann aber sah er, wer noch so mit ihm auf der Liste stand. Das waren Namen wie Lars Mährholz und Ken Jebsen. Pflüger zog seinen Namen sofort wieder zurück. „Mit solchen Leuten“, sagt Pflüger, „verbindet mich gar nichts.“ Auch andere, wie der Aktivist Monty Schädel, warnen vor der neuen Allianz.
Verschwörungstheorien
Das hat einen Grund: Mährholz und Jebsen sind zwei der zentralen Figuren hinter den „Montagsmahnwachen“. Diese erhielten in diesem Jahr zeitweise großen Zulauf – häufig von bislang weniger organisierten Leuten. In die Kritik gerieten die Mahnwachen allerdings ebenso schnell. Denn die politische Analyse vieler Beteiligter lautet in schöner Pauschalheit: Der Putin ist doch kein Schlechter, die Medien verschweigen die Wahrheit, israelische Lobbyisten ziehen die Strippen.
Kurz: Die Szene ist anfällig für Verschwörungstheorien und Blöderes. Jebsen, der unter den neuen Wilden wie ein Held verehrt wird, musste sich immer wieder mit Antisemitismusvorwürfen auseinandersetzen. Zu Recht.
Doch bei den etablierten Pazifisten gab es auch eine Neugier. Und so beschloss die institutionalisierte Friedensbewegung, als sie im Oktober in Hannover zu einer Aktionskonferenz lud, dass es den Versuch wert ist, sich für die Montagsmahnwachen zu öffnen.
Alle unter einem Dach
Das Projekt: ein „Friedenswinter“, bei dem sich auf verschiedenen Veranstaltungen möglichst alle unter einem Dach versammeln sollen. Deswegen geht es bei dem Streit, anders, als es wirkt, nicht um die Aufrufe selbst. Es geht um die Frage: Wer ist die ganze neue Friedensbewegung? Und wie unterkomplex, wie antisemitisch darf sie im Zweifel werden?
Reiner Braun verteidigt diesen Beschluss bis heute. Er sagt etwa: „Ken Jebsen formuliert eine relativ scharfe Israelkritik – aber auch nicht mehr.“
Eine alte Bekannte von ihm hat dagegen schon kalte Füße bekommen: Laura von Wimmersperg, eine Grande Dame der Bewegung, war gerade noch mit Braun daran beteiligt, Erstunterzeichner zu werben. Interessantes Detail: Ihr eigener Name taucht allerdings selbst gar nicht auf.
Dem Vernehmen nach hat sie, als sie die umstrittenen Mitunterzeichner sah, einen Rückzieher gemacht. Nun macht sie es sich gemütlich und hat einen eigenen Aufruf gestartet. Da ist zumindest der Abstand klar. Für sie. Vermeintlich.
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