Friedensaktion "White Soldier": Die Deckfarbe Weiß
Der israelische Künstler Yuda Braun versucht den Nahost-Konflikt mit einem Spielzeuggewehr und weißer Farbe zu entwaffnen. Seine Munition ist die Irritation.
JERUSALEM taz | Über vier Stunden hält ihn die Polizei diesmal fest. Ob er ein Provokateur sei und für welche Organisation er arbeite, fragen sie ihn und beschweren sich darüber, dass er sie bedroht habe. Dabei trägt Yuda Braun an diesem Tag nur ein Plastikgewehr, weiß angemalt, genauso wie der Helm, die Uniform und die Stiefel.
Ein Freund muss ihm später Hosen zum Revier bringen. "Sie haben mir alles weggenommen", schimpft der 26 Jahre alte Künstler.
Als weißer Soldat will er die Leute irritieren, zum Denken anregen und "die Komplexität der Situation hier" darstellen, "wo nichts schwarz oder weiß ist, sondern wo es dreitausend Grauschattierungen gibt". Umgerechnet 400 Euro kostet seine Ausstattung, die ihm die Polizei weggenommen hat.
Das ist ihm nicht zum ersten Mal passiert. Bei der Festnahme während einer Demonstration gegen Siedler, die mehrere palästinensische Häuser besetzt halten, musste er schon einmal Uniform, Spielzeuggewehr und Fahrradhelm abgeben.
Beinahe verprügelt
Dabei hatte dieser Tag ganz nach Plan begonnen. Yuda Braun startete die "Performance", wie er es nennt, in einem zumeist von jüdischen Israelis bewohnten Ostjerusalemer Viertel. "Der sieht aus, als würde er sich gleich in die Luft sprengen", sagt ein Päckchenbote, der auf seinem Mofa sitzend die Szene aus sicherer Entfernung beobachtet.
Die Fotografen, die den weißen Soldaten gewöhnlich begleiten, wirken entspannend auf die Atmosphäre, denn sie machen klar, dass es um etwas Besonderes geht. Einmal war er allein unterwegs, in der Nähe der Jerusalemer Altstadt. Ein paar Palästinenser hätten ihn beinahe verprügelt.
Die Aktion des "White Soldier" sehen Sie auf einer Doppelseite in der aktuellen Sonntaz vom 30. April/1. Mai 2011 – neben vielen anderen spannenden Geschichten. Ab Sonnabend gibt es die sonntaz zusammen mit der taz an Ihrem Kiosk oder im eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Der Fotograf: geboren 1981, lebt in Berlin. Ausbildung an der Ostkreuzschule für Fotografie (2008). Arbeitet als freier Fotograf und Künstler im In- und Ausland. www.alexanderjanetzko.de
***
Das Projekt: Ende 2009 lernte er den "White Soldier" (Yuda Braun) kennen und begleitete ihn fortan fotografisch auf fast allen Kunstaktionen. Dokumentiert ist das Projekt im Internet unter www.whitesoldier.com.
Unbeirrbaren Schrittes, nur von Zeit zu Zeit innehaltend und mit starrem, bösen Blick bewegt sich der weiße Soldat mal durch Ostjerusalem, mal durch das ultraorthodoxe Viertel Mea Shearim, durch eine Fußgängerzone in Tel Aviv oder durch eine Siedlung.
Kritisch will er sein, aber keine klare Botschaft übermitteln. Yuda Braun mag links sein, trotzdem versteht er seine Auftritte nicht als linke Performance. Antworten auf die großen moralischen Fragen stünden ihm nicht zu, sagt er, "sonst wäre ich Politiker, nicht Künstler".
Das Gewehr und sein starrer Blick macht vielen Angst. "Ich wusste, dass er ein Künstler ist", sagt ein palästinensischer Passant. "Trotzdem habe ich erst einmal einen Schreck bekommen." Braun arbeitet mit Symbolen. Soldaten gehören zum Stadtbild Jerusalems und Tel Avivs. "Nur die Farbe ist verändert", sagt er, "damit ist alles plötzlich ganz anders".
In Kanada geboren, wuchs Braun in einer Siedlung im Westjordanland auf. Seine Eltern sind religiöse Nationalisten, Yuda das ältesteste von fünf Kindern. Die ersten Zweifel an der Religion und am Zionismus, wie er ihn im Hause seiner Eltern erlebte, kamen während der Schulzeit.
"Ich habe innegehalten", sagt er "und angefangen nachzudenken, darüber, was mit mir und was hier passiert." Irgendwann nahm er die Kipa vom Kopf, fühlte sich aber zunächst noch als Zionist, "wobei ich überhaupt nicht wüsste, wie man Zionismus definieren sollte".
Als die Armee ihn rief, meldete er sich zu einer Kampfeinheit. "Ich hatte in diesen drei Jahren täglich Kontakt sowohl mit Palästinensern als auch mit Siedlern, und ich empfinde Sympathie für beide Seiten." Danach kam das Studium an einer Kunstschule für Fotografie und Neue Medien in Jerusalem, wo er heute lebt.
Der weiße Soldat ist das Ergebnis von fast zwei Jahren Arbeit. Er brauchte lange, um in die Rolle des Soldaten hineinzufinden, der nur seinen Auftrag verfolgt, ohne auf die Menschen zu reagieren.
Das "Spiel mit Dissonanzen" lockt ihn, ein Krieger, der aber weiß ist, was Reinheit und Frieden symbolisieren kann, aber auch den Tod.
Yoda Braun will trotz der Konfiszierung seiner weißen Uniform weitermachen. Im Moment verdient er seinen Lebensunterhalt mühsam als Putzmann. "Es wird wohl eine Weile dauern", sagt er, "bis ich mir wieder eine neue Ausrüstung leisten kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?