„Freiwillige“ Rückkehr: Einmal Kabul und wieder weg
Das Bundesprogramm StarthilfePlus will Geflüchtete freiwillig zur Rückkehr bewegen. Yama Sadat sitzt nun im Flüchtlingscamp auf Lesbos fest.
Berlin taz | Yama Sadat hat eine Odyssee hinter sich gebracht. Im Dezember 2015 kam der heute 28-Jährige als afghanischer Flüchtling nach Berlin, fand eine Wohnung, hatte sogar Aussichten auf einen Job. Seine Freundin war aber zu diesem Zeitpunkt noch in seiner Heimatstadt Kabul. Er entschied sich für eine Rückkehr nach Afghanistan. „Wegen meiner Liebe“, wie er sagt. 2017 nahm er am Förderprogramm StarthilfePlus der Bundesregierung teil, das die Rückkehr von Flüchtlingen durch finanzielle Anreize fördern soll.
Am Mittwoch wurde nun eine gemeinsame Studie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vorgestellt. Sie informierte über die Erfolge und Misserfolge der „Reintegrationsunterstützung“, wie die Maßnahme beschönigend genannt wird. Diese funktioniert so: Wer als Migrantin oder Migrant mit „geringen Bleibeperspektiven“ freiwillig das Land verlässt, bekommt aktuell sechs bis acht Monate nach der Ausreise einen Betrag von 1.000 Euro ausbezahlt. Für die Studie wurden 1.339 Personen aus zwölf Ländern befragt, die dieses Angebot zwischen Februar 2017 und April 2018 angenommen hatten.
Ergebnis: 84 Prozent seien „zufrieden“ mit dem Verfahren, stellten die Forscherinnen und Forscher in der nichtrepräsentativen Studie fest. Besonders wichtig für die Zufriedenheit im Herkunftsland sei die Integration in den Arbeitsmarkt. Die ist Sadat nicht gelungen. Zurück in Kabul wurde es für ihn prekär; nicht einmal eine eigene Wohnung konnte er finden.
Kidnappings an der Tagesordnung
Am Telefon berichtet er von „Explosionen und Kidnappings“, die an der Tagesordnung gewesen seien. „Wenn du morgens das Haus verlässt, weißt du nicht, ob du wieder zurückkommen wirst.“ Zusammen mit seiner Frau machte er sich auf den Weg zurück gen Deutschland. Über den Iran und die Türkei gelangen sie auf die griechische Insel Lesbos. Dort harren sie seit Anfang September im Flüchtlingslager Moria aus, das nun geschlossen werden soll. „Hier ist es schlimmer als in Kabul“, sagt Sadat.
Das im Rahmen von StarthilfePlus ausbezahlte Geld können sich die Betroffenen in den Länderbüros der IOM abholen, die für die Durchführung des Maßnahmenpakets verantwortlich ist. Bernhard von Grünberg, stellvertretender Vorsitzender der UNO-Flüchtlingshilfe, bezeichnet die IOM deshalb kritisch als „Rückführungsorganisation“.
Wer gefördert werden will, muss zwei Voraussetzungen erfüllen: Erstens muss sie oder er „mittellos“ sein, wie es im Anforderungskatalog von StarthilfePlus heißt. Zweitens muss man aus einem der 40 Herkunftsländer stammen, für die das Programm konzipiert wurde. Sadats Heimat Afghanistan fällt genauso darunter wie der Irak, die Demokratische Republik Kongo, Mali oder Eritrea. Bis dato haben circa 21.000 Menschen an dem Programm teilgenommen und Deutschland wieder verlassen.
„Das Geld wird kaum reichen, um die Schulden zu tilgen, die durch die Flucht entstanden sind“, meint von Grünberg, „damit lässt sich kein wirtschaftlicher Neuanfang finanzieren.“ Gegen Rückkehrförderung an sich habe er nichts. Nur dürfe sie keine gründliche Prüfung darüber verhindern, ob ein Asylrechts- oder Flüchtlingsschutz bestehe. Genau das scheint jedoch durch StarthilfePlus zu geschehen. „Bei jedem dritten Befragten war das Asylverfahren zum Zeitpunkt der Rückkehrentscheidung noch nicht abgeschlossen“, heißt es in der Studie.
Während Migrantinnen und Migranten auf der einen Seite mit finanziellen Anreizen zur Abreise gedrängt werden, wird ihnen hierzulande die Möglichkeit der Fluchtberatung erschwert. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD aus dem Jahr 2018 hatte es noch geheißen, eine „unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung“ sei „zu gewährleisten“. Damit sind vor allem Wohlfahrtsverbände wie Caritas oder Diakonie gemeint. Dort wird in sogenannten „Perspektivberatungen“ auch darüber gesprochen, welche Möglichkeiten man als Geflüchteter hat, wenn der Asylantrag abgelehnt wurde.
Knapp 70 Prozent der Befragten in der BAMF/IOM-Studie ging das so – sie bekamen einen negativen Asylbescheid. Der Union würde es trotzdem genügen, wenn Flüchtlingsberatungen alleine von staatlichen Akteuren übernommen würden. Also vom BAMF. Jener Behörde, die später auch über den Asylantrag entscheidet. „Innenminister Seehofer kommt es offensichtlich darauf an, dass die Flüchtlinge möglichst wenig von ihren Rechten in der Bundesrepublik erfahren und schnell wieder abgeschoben werden“, kritisiert UNO-Mann Bernhard von Grünberg.
Fluchtberatung wird eingedampft
Viele Wohlfahrtsverbände blickten deshalb mit Spannung auf die letzte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag, die letzte Woche stattfand. Würde dort die Finanzierung der nichtstaatlichen Asylverfahrensberatung gesichert?
In einer internen Mail, die der taz vorliegt, schreibt ein sozialdemokratisches Ausschussmitglied, das Kind sei bereits „in den Brunnen gefallen“ und dass sich „das Problem im Zuge der Haushaltsberatungen nicht mehr lösen“ lasse. Der Grund: das im Juni verabschiedete „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ aus dem Hause Seehofer. Dort sei zwar die zweistufige Verfahrensberatung vorgesehen, die zur Hälfte auch von Wohlfahrtsverbänden übernommen werden könne. Zu diesem Zweck seien ihnen neben dem Zugang zu den Aufnahmeeinrichtungen auch Räumlichkeiten und Sachmittel zur Durchführung ihrer Beratungstätigkeit bereitzustellen.
Der Haken: Von der Übernahme der Personalkosten durch den Bund sei in der Gesetzesbegründung nirgendwo die Rede. Bernhard von Grünberg sieht darin sogar einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Dort sei der Zugang des Rechts für Flüchtlinge vorgesehen, „das wird dadurch total erschwert“.
Wie es für Yama Sadat weiter geht, ist noch unklar. Er dürfe nicht über die Zustände im Moria Camp sprechen, das habe ihm ein griechischer Anwalt geraten. Er weiß nur: Er will da raus.
Leser*innenkommentare
Sven Günther
Was ja auch noch dazukommt, etwa 3 Millionen Afghanen, vor allem Hazara, sind in den Iran, teilweise vor Jahrzehnten oder sind dann da geboren, geflüchtet. Die bekommen aber keinen iranischen Pass.
Für die ist das Land keine "Heimat."
Wie das funktioniert soll, hab ich bis heute nicht verstanden.