Freispruch für Palästina-Aktivisten: Keine Verantwortung für Social-Media-Posts
Ein Aktivist von „Palästina spricht“ war angeklagt, weil er den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 verherrlicht haben soll. Er wurde freigesprochen.
BERLIN taz Der palästinensische Aktivist Majed Abusalama wurde am Mittwoch vom Amtsgericht Berlin freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mitbegründer der Gruppe „Palästina spricht“ Billigung von Straftaten vor. Er soll die Terrorakte der Hamas am 7. Oktober 2023 durch zwei Social-Media-Posts verherrlicht haben. Den Freispruch von Abusalama begründete die Richterin Regina Schlosser damit, dem Angeklagten könnte nicht nachgewiesen werden, die entsprechenden Beiträge auf Instagram, Twitter und Facebook verfasst zu haben.
Bei den Accounts der Gruppe handle es sich um ein kollektiv genutztes Profil. Auch zum Tatzeitpunkt sei der Account von unterschiedlichen IP-Adressen genutzt worden. Außerdem hätten weitere Gruppen die betreffenden Beiträge unterzeichnet.
Als Beweismittel wurden am ersten Prozesstag vorige Woche Screenshots von dem Social-Media-Account der aktivistischen Gruppe „Palästina spricht“ vorgelegt, die am 8. Oktober 2023 veröffentlicht worden waren.
Eines der als Beweismittel angeführten Bilder, das von der Gruppe auf unterschiedlichen Social-Media-Kanälen veröffentlicht wurde, zeigt Hamas-Terroristen und ihre Unterstützer, wie sie auf Paraglidern vom Himmel segeln. Bei dem Angriff wurden 1.200 Zivilist*innen in Israel massakriert, das Nova-Festival überfallen und 250 Geiseln, darunter Kleinkinder und ältere Menschen, in den Gazastreifen verschleppt.
7. Oktober gefeiert auf Social Media
Das Bild trägt den Titel: „A lesson in liberation from Gaza“, mehrere aktivistische Gruppen aus Berlin, darunter unter anderem die feministische Gruppe „Alliance of international feminists“, sind als Unterzeichner*innen aufgeführt. Auf Instagram hat der Post über 2.800 „Gefällt mir“ Angaben.
Das zweite von der Staatsanwaltschaft angeführte Beweisfoto trägt den Titel „Gaza just broke out of prison“ und zeigt den durch einen Bagger zerstörten Zaun an der Grenze zwischen Gaza und Israel. Weiter heißt es, „Wir sind überwältigt […] heute ist ein revolutionärer Tag zum Feiern.“

Die Gruppe „Palästina spricht“ ist an vielen propalästinensischen Demonstrationen in Berlin beteiligt, thematisiert Menschenrechtsverletzungen durch Israel und kritisiert die deutsche Israel-Palästina-Politik sowie Repressionen gegen palästinasolidarische Stimmen in Deutschland.
Vor dem Prozessauftakt hatte die Gruppe auf Instagram zu einer solidarischen Prozessbegleitung mit dem Angeklagten aufgerufen. Von draußen hörte man „Free Palestine“-Rufe.
Anwalt betont Recht auf Widerstand
Der Anwalt des Angeklagten, Alexander Gorski plädierte letzte Woche für eine Einstellung des Verfahrens, seinem Mandanten könne nicht nachgewiesen werden, die entsprechenden Beiträge verfasst zu haben und auch die Inhalte selbst seien nicht strafbar. Der 7. Oktober, so Gorski, sei ein „vielschichtiges Ereignis“ gewesen, das sich nicht auf die Terrorakte der Hamas reduzieren lasse. Auch militärische Stützpunkte der israelischen Besatzungsmacht seien am 7. Oktober eingenommen worden. Widerstand gegen eine Besatzungsmacht sei laut Gorski vom Völkerrecht gedeckt.
Der Angeklagte, Majed Abusalama, aufgewachsen in dem größten Geflüchteten Camp Gazas in Jabalia, verteidigte sich zum Prozessauftakt mit einer langen, emotionalen Rede. Immer wieder richtete er sich direkt an die Polizisten im Raum, an die Richterin und den Staatsanwalt. Im Gerichtssaal erfahre er dieselbe Repression und Gewalt, die er und andere propalästinensische Aktivist*innen in Deutschland tagtäglich erleben müssten, vor allem bei Demonstrationen durch Polizeigewalt.
Die Anklage, die gegen ihn gerichtet werde, will Abusalama an den deutschen Staat zurück richten: einen Staat, der in Komplizenschaft mit den vom israelischen Militär begangenen Kriegsverbrechen stehe. „Ich stehe hier nicht als Angeklagter, sondern als Anklagender. Diejenigen, die vor Gericht stehen müssten, sind die Kriegsverbrecher, die verantwortlich für den Völkermord in Gaza sind“, sagt er.
Die als Beweismittel angeführten Beiträge habe er nicht verfasst, auch wenn er hinter den Inhalten stünde. „Uns geht es nicht um die Ideologie einzelner palästinensischer Gruppen, sondern um die Idee des palästinensischen Widerstandes und das Recht der Kolonisierten sich zu wehren“, sagt er nach dem ersten Prozesstag zur taz. Man verstehe sich zwar als „progressiv“, jedoch nicht als dezidiert linke Gruppe.
Gerichte sprechen häufiger frei
Dass am 7. Oktober 2023 auch Zivilist*innen, darunter auch israelische Friedensaktivist*innen ermordet wurden, sei „sehr traurig“, der Preis „im antikolonialem Kampf“ könne jedoch harsch sein. „Wir können denjenigen, die im Freiluftgefängnis sitzen, nicht vorschreiben, wie sie Widerstand gegen ein Apartheids-Regime leisten. Ich wünschte, friedliche Mittel hätten uns Gerechtigkeit gebracht. Unsere Stimmen wurden über Jahrzehnte ignoriert und dämonisiert“, so Abusalama.
Bei der Verkündung des Urteils ist der Angeklagte nicht anwesend. Sein Anwalt Gorski, der in der Vergangenheit mehrere palästinensische Aktivist*innen vertreten hat, ist zufrieden mit dem Urteil. Die Erfahrung der letzten Monate zeige jedoch, dass die Gerichte letztendlich zu rechtsstaatlicheren Einschätzungen kämen als die Staatsanwaltschaft und Polizei. Dennoch würden insbesondere geflüchtete Menschen und Migrant*innen durch solche Strafverfolgungen mental belastet, auch wenn es letztendlich zu einem Freispruch kommt.
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