Freispruch für Berliner Schüler: Alles nur eine Verwechslung
Sie waren angeklagt, am 1. Mai einen Molotowcocktail geworfen zu haben. Jetzt wurden die Schüler Yunus und Rigo freigesprochen. Ihre Verteidiger kritisieren das Verfahren scharf.
BERLIN taz | "Die Angeklagten sind freizusprechen." Weiter kommt Richterin Petra Müller erst mal nicht. Jubel brandet auf im Landgerichtssaal. Die Angeklagten, der 20-jährige Yunus K. und der 17-jährige Rigo B., springen auf, umarmen sich. Ihre Eltern weinen. Damit geht in Berlin nach fünf Monaten ein denkwürdiger Prozess zu Ende.
Erstmalig wurde nach einem 1. Mai die Anklage des versuchten Mordes erhoben. Den beiden Waldorfschülern wurde vorgeworfen, am Abend in Kreuzberg einen Molotowcocktail auf Polizisten geworfen zu haben. Diese wurden verfehlt, eine Frau aber durch Teile der brennenden Flüssigkeit schwer verletzt. Hauptbelastungszeugen: zwei Polizisten, die Yunus K. und Rigo B. von der Tat bis zur Festnahme beobachtet haben wollen. Die Schüler bestritten die Tat vehement.
"Im Zweifel für die Angeklagten", begründete Richterin Müller den Freispruch. Zwar hätten die Polizisten glaubhaft eine Verwechslung ausgeschlossen. Dennoch sei es möglich, dass ähnlich gekleidete Jugendliche sich in Tatortnähe aufgehalten hätten. Deshalb sei eine Verwechslung eben doch möglich, das Bestreiten der Tat durch die Schüler nicht zu widerlegen.
Gleichzeitig kritisierte Müller eine "beispiellose Kampagne" von Verteidigung und Medien gegen das Verfahren. "Das Gericht hat sich seine Entscheidung nie leicht gemacht und wollte hier auch kein Exempel statuieren." Müller nahm auch die Staatsanwaltschaft und Polizeiermittler in Schutz. Gegen diese gebe es keine Anhaltspunkte für falsche Verdächtigungen. Oberstaatsanwalt Ralph Knispel geht von einer Revision gegen das Urteil aus. Knispel hatte bis zu vier Jahre und neun Monate Haft für die Schüler gefordert.
Die Verteidiger, die Freispruch gefordert hatten, kritisierten den Prozess scharf. Siebeneinhalb Monate saßen Yunus K. und Rigo B. in U-Haft. Mitte Dezember wurden sie überraschend freigelassen. Es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr, so das Gericht damals. Woher diese Wende rührte, erklärte es auch am Donnerstag nicht.
Einseitig und schlampig sei gegen ihre Mandanten ermittelt, eine Verurteilung von vornherein angestrebt worden, so Verteidiger Ulrich von Klinggräff. "Es ist furchtbar, dass dieses Vorgehen von Polizei und Staatsanwalt im Urteil auch noch gedeckt wird." Der Prozess hatte in Berlin von der Kirche bis zur Antifa eine Protestwelle losgetreten. Yunus K. und Rigo B. werden jetzt entschädigt: 25 Euro für jeden der 230 Hafttage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“