Freiräume für Künstler schwinden: Der Ruf steht auf dem Spiel
Gefährdet Berlin sein Image als kreative Metropole? Ungenutzte Leerflächen, Gentrifizierung und langsame Behörden machen vielen Kunstschaffenden das Leben schwer. Diskussion im taz-Wahllokal am Mittwoch.
Wenn die Tiefgarage kommt, geht es der Galerie an den Kragen. Was wie das überdrehte Klischee von Gentrifizierung klingt, ist für die "Galerie unter Berlin" bedrohliche Realität. Im September 2010 erschlossen die beiden Künstler Vanessa Huber-Christen und Lorenz Huber mit ihr die Kellergewölbe der ehemaligen Brauerei in der alten Königsstadt in Prenzlauer Berg. Seitdem zeigen sie dort Performances und Ausstellungen. Doch nun baut die Genossenschaft, der das Gelände heute gehört, eine Tiefgarage, und die Galerie wird damit auf jeden Fall räumlich schrumpfen, im schlimmsten Fall sogar komplett aufgeben müssen.
"Schon jetzt sind wir mit der Miete nahe der Schmerzgrenze", sagt Lorenz Huber. Dass ein Kunstprojekt wie dieses in Prenzlauer Berg überhaupt noch denkbar sei, verdanke er der genossenschaftlichen Organisation seines Vermieters. "Wir sitzen da in einer Nische. In Prenzlauer Berg hat man sonst keine Chance, für ein derartiges Projekt bezahlbare Räume zu finden." Der Stadtteil, der dank seiner kreativen Künstler lange als Szenebezirk gehandelt worden sei, riskiere damit sein Image. Der Stadt Berlin drohe das Gleiche. "In zehn Jahren ist der Ruf der kreativen Metropole verspielt, wenn man sich jetzt nicht für deren Erhalt einsetzt", sagt Huber. "Derzeit fährt die Politik das an die Wand."
Lange haben die Berliner Künstler von den vielen Leerständen und den günstigen Mieten profitiert. Doch mit dem Aufwertungsprozess der Gentrifizierung ist ihr Spielraum geschrumpft. Wo vor zehn Jahren in Prenzlauer Berg noch alternative Kunstprojekte stattfanden, stehen heute Eigentumswohnungen. Die Kreativen zogen weiter nach Wedding, Neukölln und Lichtenberg, wo ihnen aber auf Dauer ein ähnliches Schicksal droht. Ob das ein natürlicher Vorgang ist, der die Kultur auch vor lähmendem Stillstand bewahrt, oder ob die Politik dem aktiv entgegenwirken sollte, da sind sich die Künstler selbst nicht ganz sicher.
Zum Thema "Raum schaffen für Kreativität" stehen am Mittwochabend ab 19.30 Uhr Johanna Schlaack (think Berl!n), Thomas Wulffen (Kurator), Andreas Krüger (Modulor/Aufbauhaus) und Interessierten Rede und Antwort - im taz-Wahllokal, der Debattenreihe zur Abgeordnetenhauswahl im taz Café. Die Runde wird von taz-Redakteurin Nina Apin moderiert. Es ist der zweite von fünf Themenabenden, die bis zum 18. September immer mittwochs in der Rudi-Dutschke-Straße 23 stattfinden. In den folgenden Wochen wird im taz-Wahllokal über Verkehrspolitik, Rekommunalisierung und Bürgerbeteiligung diskutiiert. Alle Termine, alle TeilnehmerInnen unter www.taz.de/veranstaltungen.
Nordwestlich des Bahnhofs Gesundbrunnen eröffneten vor vier Jahren die Uferhallen. In einer ehemaligen Motorenhalle der BVG ist Platz für die unterschiedlichsten Kulturprojekte, von Tanzaufführungen über Ausstellungen bis hin zu Konzerten. Zudem haben etwa 70 Künstler dort ihr Atelier. "Der Ort soll langfristig für die Kultur erhalten bleiben - wir wollen uns hier im Kleinen der Gentrifizierung entgegensetzen", sagt Azadeh Sharifi, Vorstand der Uferhallen AG, die finanziell von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin unterstützt wird.
"Die Politik muss sich bewusst sein, dass Kultur auch ein Wirtschaftsfaktor ist, den es zu pflegen gilt", meint sie. Daher sei es wünschenswert, wenn der Senat mehr seiner ungenutzten Immobilien für Zwischennutzungen zur Verfügung stelle. Auf der anderen Seite bilde die Ansiedlung von Künstlern aber eben den Auftakt eines Gentrifizierungsprozesses. "Die Kultur muss damit leben, dass sie diesen selbst in Gang setzt und sich dadurch auf die Dauer kannibalisiert."
Die privatwirtschaftlichen Uferhallen wollen Künstlern einen Standort mit Perspektive bieten, doch auch ihre Möglichkeiten sind begrenzt. "Derzeit ist unser Gelände komplett vermietet. Für einen jungen, aufstrebenden Künstler haben wir einfach keinen Platz mehr", sagt Sharifi. Eine gewisse Etablierung könne man nicht verhindern, die Einflussmöglichkeiten der Politik seien begrenzt. Ihre Aufgabe sei es, mit einer gezielten Projekt- und Raumförderung bestmögliche Bedingungen zu schaffen. "Aber gegen bestimmte Prozesse kann man wenig machen."
Ein Ort, wo das freie, kreative Berlin noch lebt, ist das Mica Moca im Wedding. Direkt am S-Bahn-Ring gelegen, ist es eines dieser typischen Berliner Zwischennutzungsprojekte - eine verlassene Fabrikhalle, die der Mailänder Besitzer sechs kunstbegeisterten Berlinern spontan und mietfrei für ein halbes Jahr überlassen hat. Seit März bieten sie zumeist unbekannten Künstlern auf 6.500 Quadratmetern kostenlose Proben- und Aufführungsräume. Das Eintrittsgeld für die Veranstaltungen teilen Künstler und Organisatoren auf, die davon Strom- und Wasserkosten zahlen. "Wir hatten keine Unterstützung und sind damit der Beweis, was man machen kann, wenn man wirklich will", sagt Christian Anslinger, Eventmanager und einer der sechs Köpfe hinter dem Mica Moca. Er wünscht sich von der Politik eher unbürokratische Hilfe im Kleinen. Vorstellen könne er sich etwa eine Art Fundus, aus dem Künstler spontan mal ein paar Beamer oder hundert Stühle beziehen könnten. "Viele Künstler sind nur kurz in der Stadt", meint Anslinger. Die acht bis zwölf Monate Vorlaufzeit, die es brauche, um öffentliche Förderungen zu beantragen, seien da einfach zu lang. Auch das Mica Moca sei innerhalb von nur drei Wochen aus dem Boden gestampft worden. "Das Image Berlins zehrt von der Kultur vor Ort, und die tickt eben schneller als ein Verwaltungsapparat. Darauf muss dieser sich einstellen."
Darüber hinaus wünscht sich Anslinger, dass Marketingkampagnen wie "be berlin" sich nicht auf die großen Leuchttürme konzentrierten, sondern auch temporäre Projekte beachteten. Ob deren Basis, die großen Leerstände, jedoch durch gezielte Maßnahmen zu erhalten seien, hält er für fraglich. "Natürlich wäre es schön, wenn wir irgendwie weitermachen könnten - die Nachfrage bei Künstlern und Besuchern zeigt uns, dass der Bedarf da ist", sagt er. Eine Einmischung ohne Einflussnahme könne er sich jedoch kaum vorstellen. "Kontrolle können wir hier aber nicht gebrauchen."
Eine Einstellung, die sich Lorenz Huber von der Galerie in Berlin nicht mehr leisten kann. "Politik sollte Milieuschutz betreiben, damit die Mietpreise für kulturelle Einrichtungen erschwinglich bleiben", meint er. Konkret könne er sich eine Kulturmiete vorstellen oder steuerliche Erleichterungen. "Ich bin schon zu lange in Prenzlauer Berg, ich will nicht in den Wedding ziehen", sagt Huber. "Aber die Tiefgarage sitzt uns im Nacken."
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