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Freiheit für Rebstöcke in Rumänien

■ Die Autorin Doina Cornea warnt vor Rückschlag / Neue Agrargesetzgebungen / Erstes Urteil von Sondergericht / Neun Jahre Haft für Offizier der Justizpolizei / Prozesse bislang weder gegen Ceausescu-Sohn noch gegen Securitate / Fernsehen für Ungarn und Deutsche

Berlin (afp/ap) - Die Schriftstellerin Doina Cornea, die für ihre Opposition gegen das Ceausescu-Regime verfolgt worden war, hat davor gewarnt, daß Kommunisten wieder die Macht an sich reißen. Erfolglos habe sie dies auch der „Front für nationale Rettung“ mitgeteilt, deren Mitglied sie selbst ist. Dabei gebe es Berichte, daß etwa in Cluj führende Mitglieder Securitate frei herumlaufen. Ihre Prozesse würden verschleppt. Außerdem werde den neuen Parteien der Zugang zu Rundfunk, Fernsehen und Presse verwehrt. Doina Cornea rief zu Demonstrationen und Protesten auf.

Die Front selbst hat erklärt, sie wolle an den Wahlen teilnehmen, sich aber nicht als Partei konstituieren. Am „runden Tisch“ sollten der freie Zugang der Opposition zu den Medien und der Wahltermin erörtert werden.

Die provisorische Regierung setzt ihre politischen Aufräumarbeiten inzwischen fort. In zwanzig Erlassen revidierte sie die Agrargesetzgebung. Unter anderem müssen Bauern nicht mehr Mitglieder im Bauernverband sein und brauchen Obst und Gemüse nicht mehr zu staatlich festgelegten Preisen verkaufen. Selbst der Abstand von Rebstöcken wird nicht mehr reglementiert. Ferner können alle Rumänen ohne Aus- und Wiedereinreisevisen ins Ausland reisen. Die Ausreise soll nur Personen verweigert werden, gegen die Strafverfahren laufen oder die verurteilt wurden.

Einen Auftrag zur Sicherung verschobenen Geldes hat die Regierung dem Schweizer Rechtsanwalt Leuenberger erteilt, der einen ähnlichen Auftrag bereits von Exilrumänen erhalten hatte, die 400 Millionen Ceausescu-Dollar in der Schweiz vermuten. Noch in den letzten Wochen vor dem Sturz habe der „Conducator“ größere Goldmengen ins Alpenland bringen lassen. Im ganzen Land sind seit Samstag Sondergerichte für „Terroristen“ eingerichtet worden, die von je zwei zivilen und drei Militärrichtern besetzt werden. Nur in Bukarest, Temesvar und einigen anderen Städten sind sie ausschließlich mit Offizieren besetzt. Die Regierung hat faire Verfahren versprochen, Berufungen sollen möglich sein, die Presse Zugang haben. Höchststrafe ist nun nach der Abschaffung der Todesstrafe lebenslängliche Haft. In Sibiu ist wegen „versuchten Totschlags“ ein Offizier der Justizpolizei, also kein Securitate-Mann, zu neun Jahre Haft verurteilt worden. Er hatte am 22. Dezember in eine Gruppe Offiziere der Armee geschossen. Vor dem gleichen Gericht sollen demnächst zwei weitere Personen gestellt werden. Nicu Ceausescu, der Sohn des gestürzten Diktators, steht vorerst nicht vor Gericht. Silviu Brucan, Mitglied des Exekutivausschusses der Front, reichte eine weitere Begründung zum Todesurteil Ceausescus nach. Er sei wegen „Völkermord“ für die Gesamtzahl der Hinrichtungen, etwa 60.000 während seiner 25jährigen Regierungszeit, hingerichtet worden.

Die nationalen Minderheiten und die Kirchen erhalten wieder kulturelle Freiheiten. Das Fernsehen wird zweimal wöchentlich ungarisch und einmal deutsch senden. Ein deutsches „Demokratisches Forum“ in Sibiu hat der neuen Führung seine Unterstützung zugesichert. Der orthodoxe Patriarch, Teoctist, hat der Unierten Kirche, die 1948 mit der orthodoxen zwangsvereinigt und letzte Woche wieder zugelassen wurde, die Rückgabe ihres Besitzes zugesagt.

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