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Freiheit für Alfons Zitterbacke

■ Die 19. Kinder-und Jugendbuchmesse in Oldenburg hat begonnen: 2.000 Bücher, große Pläne und wenig Atmo für die Kids

Bißchen lieblos: Matratzenlager zum SchmökernFoto: Bert Krüger

Vor Theresa, zehn Jahre alt, stapeln sich die Wunschzettel. Horrorbücher liest sie am liebsten. Ihre Freundin Eva (Abenteuer-, Krimi- und Tierbuch) kauft sich ihre Favoriten gar manchmal selbst, „auch diese dickeren“. Theresa sagt: „Mädchen interessieren sich mehr für Bücher“.

Irgendwie hat sie recht. Es sind einfach mehr Mädchen, die zur Eröffnung der Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse (KIBUM) durch die Räume des Kulturzentrums PFL streifen. Diese einzige bundesweite Fachmesse für Kinder- und Jugendliteratur dokumentiert die deutschsprachigen Neuerscheinungen des laufenden Jahres. Zum 19. Mal findet sie bereits statt, als eine Gemeinschaftsveranstaltung von Universität, VHS und Stadt Oldenburg.

2.000 neue Titel aus dem gesamten Spektrum der Kinder- und Jugendliteratur zeigt die KIBUM in diesem Jahr. „Unzensiert“, betont Antje Klinger von der Unibibliothek. Dafür fein säuberlich von ihr systematisiert, verschlagwortet und in dem Messekatalog zusammengefaßt. 155 von 230 deutschen Kinder-

hierhin bitte das

Foto von den

lesenden Kindern

und Jugendbuchverlagen haben ihre Novitäten nach Oldenburg geschickt. „Neue Trends gibt es da keine“, so Antje Klinger. „Dafür haben Themen wie Armut, Fremdenfeindlichkeit oder sexueller Mißbrauch im Lauf der letzten Jahre Fuß gefaßt.“

Bilderbücher, Sachbilderbücher, Erzählungen für Kinder ab 6, 10 oder 13 Jahren und Sachbücher bekamen rote, schwarze, blaue, grüne, orange und gelbe Punkte auf den Deckel und wurden nach Altersgruppen über das ganze Messehaus verteilt. Je eins ins Regal und eines zum Schmökern.

Oben bei den Bilderbüchern kuscheln sich die Jüngsten. Mütter oder Väter im Arm und umgekehrt. Eine Kinderbuchhändlerin aus Bielefeld durchstöbert die Bilderbücher mit dem Aufkleber Ohne Rollenklischees und meint: „Hier mach ich doch immer mal wieder eine neue Entdeckung.“

In der Oldenburger Unibibliothek ist in den 19 Jahren der KIBUM ein richtiges Archiv mit 25.000 Titeln entstanden. Dorthin gehen nämlich die Bücher nach dem Ende der Messe und der anschließenden Städtetournee. Und stehen der Wissenschaft zur Verfügung.

Tatsächlich schlummern sie jedoch dort die meiste Zeit vor sich hin. Denn an der Oldenburger Uni wird kein entsprechendes Fachgebiet gelehrt. Ein Institut für Kinderbuchforschung spukt daher den Verantwortlichen seit einiger Zeit in den Köpfen. Ein entsprechendes Memorandum existiert bereits; noch fehlt die Zustimmung durch das Land Niedersachsen.

„Man müßte dazu natürlich auch die KIBUM ausweiten und die Verlage stärker beteiligen“, so der Leiter der Unibibliothek, Hermann Havekost. „Aber das braucht noch eine ganze Menge Arbeit.“ Immerhin hat sich die KIBUM jetzt in der Verlagslandschaft einigermaßen durchgesetzt. In den vergangenen Jahren mußte Havekost noch in Frankfurt auf der Buchmesse herumlaufen und den Leuten das Konzept erklären.

Havekost organisiert auch jedesmal die Sonderausstellungen, die parallel zur Messe gezeigt werden: „Man wird da ja zum Experten, ohne daß man es gemerkt hat.“ Für die diesjährige Sonderschau Helden nach Plan? Kinder-und Jugendliteratur der DDR zwischen Wagnis und Zensur haben Havekost und seine MitarbeiterInnen „Spuren gesichert“, wie sie es nennen. Aufgelassene Bestände von Bibliotheken in Sachsen- Anhalt - wie eine gesamte Zweigstelle der Magdeburger Stadtbibliothek - haben sie übernommen und im Oldenburger Stadtmuseum wieder aufgebaut.

Helden nach Plan läßt Tinko, Trini und Alfons Zitterbacke, die HeldInnen der DDR-Kinderbücher, wieder aufleben und ergänzt außerdem das KIBUM- Archiv um eine einzigartige Sammlung von fast 4.000 Bänden. Havekost: „Oldenburg könnte ein richtiges Zentrum der Kinder-und Jugendl iteratur werden. Das PFL als Veranstaltungsort wäre dazu aber zu klein. Das, was wir hier machen, ist ja eine Messe für Kinder.“

Denen fehlt es leider total an Rückzugs- und Spielecken. Im großen Saal liegen gerade mal ein paar bunte Matratzen auf der Bühne, für die Kleinen gibt es zwei Bodenfelle, und die Jugendromane fristen gänzlich trist in Dreierreihen auf den Tischen ihr Dasein. Überhaupt sind die Jugendlichen die Problemgruppe der KIBUM geworden. Malin, 12 Jahre, kommt gar nicht mehr zurecht: „Ich gehe jedes Jahr hierher, aber ich finde keine Bücher mehr für mein Alter.“

Antje Klinger hatte schon beklagt, daß die Verlage keine Comics geschickt haben. Denn Comics und Aufklärungsbücher werden bei der KIBUM am meisten geklaut, „sind also am beliebtesten“. Hans-Dietrich Raapke vom Organisationsteam, geht mit seinen Wünschen für die Zukunft der KIBUM noch weiter: „Wir isolieren hier ja eigentlich das Medium Buch und beschneiden dadurch die Wahrnehmung der Kinder, die mit allen Medien aufwachsen.“ Eine Handvoll Kassetten brechen dieses Jahr erstmals die Tradition. Silvia Plahl

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