: Freeze Frame
■ Festival du film maudit - Biarritz 1949
Freeze Frame“ nennt man in der Kinosprache eine Einstellung, der die Bewegung entzogen wird, ein Standbild. Anläßlich der Rekonstruktion des Programms des Festival du film maudit, das die Freude der deutschen Kinemathek vom 14. bis 16.10. im Berliner Kino Arsenal zeigen, haben Ralph Eue und Jörg Becker verschiedene Texte und Photos aus dem Umfeld dieser Veranstaltung von 1949 zusammengestellt.
Dieses Festival des verkannten Films verdankte sich einer Initiative des legendären Pariser Filmclubs Objectif 49, hinter dem sich so wohlklingende Namen wie Andre Bazin, Alexandre Astruc, Robert Bresson und Jean Cocteau verbargen. Objectif 49 war nur einer der im Frankreich der Nachkriegszeit vielerorts entstandenen Filmclubs, die ausschließlich vom intellektuellen Elan und dem Enthusiasmus ihrer Mitglieder getragen wurden und die sich (u.a.)Cercle cinemane oder Saint-Cinema des Pres nannten.
Aber Objectif 49 war zweifellos primus inter pares, ein Zirkel, so schreibt der amerikanische Filmtheoretiker und Bazin-Biograph Dudley Andrew, einflußreich und chic, dessen Publikum sich aus den Redakteuren und Lesern der großen intellektuellen Pariser Zeitschriften rekrutierte. Objectif 49 ging es darum, und darin unterschied es sich von der Mehrzahl der anderen damaligen Film-Clubs, Filme zu lancieren, diese als „Leuchttürme für die Zukunft der Geschichte des Films“ zu vertreten und in den Begegnungen nach den Vorführungen „sprirituelle Schlüssel“ zu diesen Leuchttürmen herauszukristallisieren.
Obwohl chic, verstanden sich die Organisatoren als kulturelle Renegaten, die angetreten waren, der Verknöcherung und Ignoranz der Filmindustrie ans Bein zu pinkeln, und mit diesem Hintergedanken wurde auch das Festival du film maudit organisiert.
Das Festival von Biarritz wollte sich nicht bloß als ein Panorama des „jungen Films“ oder der „Avantgarde“ oder des „Underground-Films“ oder was man sich sonst noch für spezielle Etiketten denken mag, verstanden wissen, sondern als ein strategisch und kämpferisch motiviertes match-making zwischen bestimmten Filmen und den Zuschauern.
„Film maudit“, so der französische Filmkritiker und spätere Regisseur Jean-Charles Tacchella, „das waren für uns Filme, die aus den unterschiedlichsten Gründen verkannt, vergessen, vernachlässigt, verdammt, verfemt oder verstümmelt worden waren. Maudit war ebenso The long voyage home von John Ford wie L'Atalante von Jean Vigo, ebenso The Southerner von Jean Renoir wie The flame of New Orleans von Rene Clair, ebenso Kuhle Wampe von Slaton Dudow wie Mourning becomes Electra von Dudley Nichols, ebensoCirconcision von Jean Rouch wie Fireworks von Kenneth Anger.“ (Einige dieser Filme kann das Arsenal leider nicht zeigen.)
Das Festival du film maudit rückte anders als die damaligen Festivals von Cannes und Venedig erstmals die Filmemacher ins Zentrum der Veranstaltung, es war die erste große praktische Manifestation einer Politik - nicht der Theorie! - der Autoren.
Die Jury des Festivals bestand aus Jean Cocteau, Robert Bresson, Rene Clement, Henri Langlois, Claude Mauriac und Raymond Queneau. Sie zeichnete den Film von Dudley Nichols, Mourning becomes Electra, aus und empfahl „den ersten Film des jungen französischen Ethnologen Jean Rouch über Beschneidungsriten bei einem malinesischen Songhay -Stamm der Aufmerksamkeit des Publikums“. Zitat aus der Erklärung der Jury.
Die Organisatoren von Biarritz brachten einen Katalog heraus, der heute ein bibliophile Kostbarkeit ersten Ranges ist und dessen Texte (u.a. von Orson Welles, Antonin Artaud, Jean Gremillon) die Freunde der deutschen Kinemathek demnächst erstmals auf Deutsch veröffentlichen werden.
Ralph Eue
Wir danken hiermit für die freundliche Erlaubnis zum Vorabdruck einiger Stellen aus diesem Katalog. Für Hinweise und Fotos danken wir außerdem Helma Schleif, Janine Bazin, Eberhard Ludwig, Jean-Charles Tacchella und Jean Rouch.
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