■ Fredric Dannen hat das Buch „Hit Men“ verfaßt – mit Hintergründen über die korrupte und glamouröse US-Popindustrie Von Thomas Groß: Die mächtigen Könige von Sankt Payola
Ihr Geschäft ist ökonomisch kaum relevanter als das der Frühstücksflockenindustrie. Trotzdem umweht die Macher und Moguln der Popindustrie stets ein Hauch von Starruhm und Mafiatum. Fredric Dannens opulenter Report schildert all die kleinen und großen Skandale um Stars und Sternchen, um Geld und Schmiergeld. Es ist auch ein amüsantes Werk, in dem Menschen wie Bruce Springsteen, Michael Jackson, Mick Jagger, Bette Midler oder Barbra Streisand nur Nebenrollen spielen.
Es gehört eine gewisse Chuzpe dazu, mit „God“ zu unterschreiben – selbst wenn man Goddard Lieberson heißt und Präsident von CBS Records ist. Schallplattenfirmen sind trotz ihrer Nähe zu Mode, Kult und Glamour schließlich auch nur Wirtschaftsunternehmen. Und als solche nicht einmal so potent wie allgemein angenommen. Zu Beginn der Neunziger entsprach ihr Umsatz in den USA mit 6,8 Milliarden Dollar pro Jahr in etwa dem der cornflakesproduzierenden Industrie.
Doch offensichtlich sind Frühstücksflocken längst nicht im selben Maße charakterbildend wie Tonträger. Als „aggressiv, ausfallend, arrogant und aufbrausend“ beschreibt Fredric Dannen den Habitus der Labelbosse – „und das waren nur die Worte, die mit a anfingen“. Seine „Hit Men“ betitelte Recherche über die Praktiken der US-amerikanischen Phonobranche ist eine einzige Parade von egomanen Plattenmoguln, verschlagenen Promotoren, prügelnden Leibwächtern und habgierigen Managern. Immerhin: Im Unterschied zu gewöhnlichen Handeltreibenden sind die meisten von ihnen „Typen“, und das bringt Fluß in die komplizierten Verflechtungen um Geld, Macht und organisiertes Verbrechen.
Als Typ galt jener Goddard Lieberson, distinguierter Pfeifenraucher, Frühjetsetter und Monogrammtaschentuchträger, der 1957 „My Fair Lady“ als CBS-LP herausbrachte – einen der größten Hits der späten Fünfziger. Unbestritten ein Typ auch Ahmet Ertegun, Boß bei Atlantic/ Warner: Er verstand es, bruchlos von der französischen Bestellung im Restaurant zum Straßenslang überzugehen, in dem er sich mit einem befreundeten Jazz- oder Bluesmusiker unterhielt.
Nahezu als Prototyp des „Typs“ aber muß Morris „Moishe“ Levy angesehen werden, ein sephardischer Jude aus der New Yorker Bronx, der sich vom Garderobenjungen emporboxte. Levy ist das Pioniermodell unter den frühen Busineß- Strategen, weil er am konsequentesten begriff, daß die Gentlemantour angesichts des aufsteigenden Rock 'n' Roll verschwinden würde. Sein Motto, gerahmt an der Wand: „O Herr, schick mir einen Hundesohn, der Talent hat!“ Sein straßenphilosophisches Bekenntnis zu Deals um Copyrights, mit denen er sein Vermögen begründete: „Es summiert sich zu einem hübschen Batzen Geld. Es arbeitet ganz von selbst. Es gibt nie freche Antworten.“
Der Kolportagestil, in dem der Journalist Dannen erzählt, ist praktisch reflexionsfrei, liefert aber anschauliche Beispiele für die Faszination des Gewerbes: Das amerikanische Schallplattenbusineß nach 1945 bezieht seine Aura aus der Nähe zum Halbseidenen und Kleinkriminellen. Es entsteigt einem Milieu, in dem schnelles Geld zu machen ist, wenn man akzeptiert, daß Kapitalismus ein Glücksspiel ist, in dem die richtige Mischung aus Brutalität, Intuition und Erfahrung zählt.
Das macht den Beiklang von „Tin Pan Alley“ aus, der Straße der ersten Verlage. Und von hier begründet sich die Mythologie der Branche: Es ist gut, wenn du als „Typ“ deine Nähe zum Wissen der Zuhälter aufrechterhältst, doch Meister bist du erst, wenn du dich als „Record Man“ bewiesen hast. „Record Man“ wiederum wird man nur, wenn man auch „Ohren“ hat. Musikalische Vorbildung ist in diesem komplizierten Feld eher hinderlich.
„Ohren“ darf poptheoretisch als Synonym für „Eier“ verstanden werden. Von ganz tief unten also muß erahnt werde, welches Pferdchen die Hürde nimmt, was ein Hit wird und was nicht. Und notfalls muß man der Intuition mit etwas Geld auf die Sprünge helfen. Nicht umsonst ist „Payola“ (der Neologismus für institutionalisierte Schmiergeldpraktiken) ein genuin amerikanischer Beitrag zur Sprache, wie Dannen feststellt.
Morris Levy entzog sich einer Gefängnisstrafe – ironischerweise als einziger Plattenimpresario, der im Zusammenhang mit Payola je verurteilt wurde –, indem er im Mai 1990 an Krebs dahinschied. Zu dem Zeitpunkt hatte die lange als krisensicher geltende Schallplattenindustrie ihre ersten Rezessionen und Skandale bereits hinter sich, die Goldgräberstimmung der Gründerjahre sich in einen institutionalisierten Kampf um Wettbewerbsvorteile und Marktanteile verwandelt.
Aus vielen Kleinklitschen, deren Patriarchen schwarze Künstler schon mal mit einem Cadillac abfanden, statt ihnen korrekte Tantiemen zu zahlen, war durch Konzentration die heutige Situation mit ihren sechs Großkonzernen entstanden: CBS (mittlerweile Sony), Warner Brothers, EMI, BMG, Polydor, MCA – anonyme Unternehmen ohne viel Spielraum für Charakterdarsteller. Sollte man meinen. Doch wenn je ein Jahrzehnt die innere Verwandtschaft von Trickbetrügerei, Risikoinvestment und Dow-Jones-Index unter Beweis gestellt hat, waren es die sogenannten goldenen Achtziger.
Dannens Dramaturgie des „Jahrzehnts der Gier“ folgt ziemlich exakt der amerikanischer Seifenopern. Es gibt einen Good Guy, der hier Dick Asher heißt, aber wie Cliff Barnes in „Dallas“ den Erfolg nicht unbedingt anzieht. Es gibt jede Menge Parallelkönige, die in eigenen Episoden im Vordergrund stehen. Und es gibt ein waschechtes, irgendwie auch sympathisches Charakterschwein im Stile JRs, hier gegeben von Walter Yetnikoff, dem CBS-Präsidenten, der im Gefolge Liebersons seinen Aufstieg nahm.
Asher und Yetnikoff kannten sich seit Collegezeiten, beide hatten sie bei CBS, einer Art Nationalheiligtum unter den Plattenfirmen, auf der drittuntersten Sprosse der Karriereleiter angefangen. Doch während Asher offenbar die analen Züge einer Buchhalterexistenz beibehielt, hatte Yetnikoff sich in seinen späten Dreißigern als Exzentriker und großer „Record Man“ neu erfunden, der zwar keine Tonhöhen unterscheiden, aber toll Untergebene anschreien und stundenlang mit Mick Jagger telefonieren konnte.
Jetzt saßen Asher wie Yetnikoff in der Chefetage des „Black Rock“, des in Rauchglas und Granit gehaltenen Firmenhochhauses in Manhattan, und sollten das Unternehmen aus der wirtschaftlichen Krise herausführen, in die es Ende der Siebziger geraten war. Beim Durchforsten der Konzernausgaben stieß Asher immer wieder auf einen beträchtlichen Posten, der an das sogenannte „Netzwerk“ ging. Wäre der nicht einzusparen?
Das „Netzwerk“ ist der Filz unter der Oberfläche, das mafiose und verschwörungstheoretische Element im Spiel. Es handelt sich um einen Zusammenschluß unabhängiger Promotoren, die von den Plattenfirmen dafür bezahlt wurden, daß sie einzelne Titel auf die Musikspiellisten der Radiostationen lancierten. Denn ohne dort gespielt zu werden, wird kein Song zum Hit – ohne Singlehit aber kein Kaufanreiz für die komplette LP, die das eigentliche Geld bringt.
Die Firmen hielten sich so die Hände sauber, während die Promotoren – zwielichtige Gestalten, wie Asher sich erinnert – sich ihr Risiko vergolden ließen. Wie Einfluß auf die Programmgestaltung genommen wurde, war seit der Einführung des 50-Dollar-Händedrucks in den frühen Sechzigern ein offenes Geheimnis: Geld, Kokain, Geschenke, Prostituierte (in dieser Reihenfolge).
Weil Enthüllungen in den USA seit Watergate immer nach dem Muster des investigativen Journalismus gemodelt sind, fährt auch Dannen viel Material auf, das er aus persönlichen Gesprächen, Polizeiakten und alten Nummern des Rolling Stone herausgeklaubt hat. Der Leser wird Zeuge, wie das gute alte Payola sich im Verbund mit Drugola und Sexola modernisiert; wie es von New York nach Los Angeles übergreift, während Dick Asher sich beim Versuch, dem Monster einen Pfahl ins Herz zu treiben, die Finger verbrennt. Und Walter Yetnikoff entspannt dabei zuschaut.
Mitunter wird Dannen dermaßen investigativ, daß das 500-Seiten-Werk unter der Anhäufung von Zahlen und Anekdoten zu zerbröseln droht – zumal die Payola-Verbindung faktisch im Sande verläuft: Anklagen, die dann doch nicht zustande kommen, Verfahren, die niedergeschlagen werden... Bis zum heutigen Tag hat niemand, weder Promotor noch Plattenpate, auch nur einen einzigen Tag wegen Korruption im Gefängnis gesessen.
Doch als Wirtschaftskrimi ist „Hit Men“ ohnehin weniger interessant denn als Sittengemälde. Beim Lesen stellt sich dasselbe Gefühl ein wie nach sechs Jahren taz oder drei Tagen PopKomm: eine tranceartige Verwunderung darüber, daß die phonographische Industrie im Grunde von atavistischen Ritualen beherrscht wird, daß Entscheidungen aus dem Bauch geblähter Egos heraus erfolgen, während das nackte Geschäft sich immer noch mit einem Hauch Vernunft maskiert.
Ganz ist die Geburt der Branche aus dem Geiste des Zuhältertums eben nicht zu überwinden, wie höchst anschaulich der Fall Walter Yetnikoff illustriert: Nachdem er die Metamorphose vom schüchternen jüdischen Jungen aus Brooklyn zum Duzfreund Bruce Springsteens, spirituellen Berater Michael Jacksons und wildesten aller Rock-'n'-Roll-Leben-Leber erfolgreich hinter sich gebracht hatte, nachdem Asher weg vom Fenster und Yetnikoffs Ehe endlich geschieden war, plagte Big Walter die fixe Idee vom „ganz großen Coup“. Der gelang ihm auch, als er CBS 1988 für zwei Billionen Dollar an Sony verhökerte. Doch kurz darauf beging er ein paar Fehler, fiel in Ungnade und wurde „stalinisiert“, das heißt: aus der offiziellen Firmengeschichte getilgt. Moral von der Geschicht': Am Ende reitest nicht du den Drachen, sondern er dich. Und plötzlich bist du wieder Little Walter, ein Angeber mit Bart und der „Statur eines naschhaften Zuckerbäckers“ (Dannen).
„Hit Men“ ist vor allem eines: Gossip – Klatsch, Tratsch, amerikanisches Gesellschaftsspiel um Personen des öffentlichen Lebens. 1990, als das Buch in den USA erschien, wurde sogar gemutmaßt, Yetnikoffs Sturz habe einiges mit dem wenig schmeichelhaften Bild zu tun, das Dannen von ihm gibt (die deutsche Ausgabe enthält ein Schlußkapitel zum Thema). Dannen selbst hat sich im Gespräch mit der New York Times darüber gewundert, daß die Nichterwähnten ihm keinen Dank dafür zollten: „Das genaue Gegenteil war der Fall. Gerade die, die nicht vorkamen, nahmen mir übel, daß dem so war.“
Kein Mitleid also mit Walter Yetnikoff: Der Mann hat seine Show gehabt.
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