Frauenrechtlerin über Zwangsprostitution: „Rechtlosigkeit wirkt als Täterschutz“
Terre-des-Femmes-Chefin Schewe-Gerigk will mehr Rechte für Zwangsprostituierte. Ein Verbot der Prostitution wie in Schweden sei hingegen der falsche Weg.
taz: Frau Schewe-Gerigk, zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen am Sonntag fordern Sie, dass Menschenhandelsopfer besser geschützt werden. Deutschland hat die Prostitution legalisiert: Warum gibt es immer noch Menschenhandel zum Zweck der Prostitution?
Irmingard Schewe-Gerigk: Legal ist die Prostitution nur für EU-BürgerInnen, die Freizügigkeit genießen. Wer nicht aus der EU kommt, hat dann natürlich immer noch keinen Schutz. Diese Frauen und Männer sind nach wie vor illegal hier und damit erpressbar. Ihre Rechtlosigkeit wirkt als Täterschutz.
Aber das sind nur noch 10 bis 20 Prozent der Menschenhandelsopfer. Die meisten Prostituierten kommen aus Rumänien und Bulgarien. Sie könnten hier legal arbeiten, oder?
Auch die EU-BürgerInnen werden oft in einer Art Schuldknechtschaft gehalten. Ihre Pässe werden einbehalten. Die „Arbeitsvermittlung“ und die Reisekosten werden ihnen in astronomischer Höhe in Rechnung gestellt. Diese sollen sie dann erst einmal „abarbeiten“. Davon war aber vorher nie die Rede. Und schon sind sie in einer Ausbeutungssituation gelandet.
Sie haben als Grüne die Legalisierung der Prostitution mit durchgesetzt. Nun sagen Frauenrechtsorganisationen: Das erschwert unsere Arbeit. Die Legalisierung helfe MenschenhändlerInnen, die mit der Aussicht auf legale Arbeit in Deutschland Frauen anwerben. Haben Sie das gewollt?
Nein. Wir haben die Rechtlosigkeit der Prostituierten beendet. Wenn nun behauptet wird, man könne die Bordelle nicht mehr kontrollieren und damit keine Menschenhandelsopfer mehr finden, dann übersieht man, dass das Prostitutionsgesetz in den Bundesländern nicht umgesetzt wurde: Wir wollten eine Regulation der Prostitution. Dazu gehört, dass Bordelle und Prostituierte eine Konzession brauchen. Dann können die entsprechenden Ämter sehr wohl kontrollieren und intervenieren.
Die 64-jährige Vorsitzende von Terre des Femmes war von 1994 bis 2009 Grünen-Abgeordnete im Bundestag, zuletzt als parlamentarische Geschäftsführerin.
Terre des Femmes will, dass Prostitution langfristig verschwindet und liebäugelt mit einem Verbot wie in Schweden. Widerspricht das nicht Ihrer persönlichen Auffassung?
Wir haben in der Organisation unterschiedliche Auffassungen, das stimmt. Eine große Gruppe möchte ein Verbot. Das Beispiel Schweden zeigt aber, dass dadurch die Prostitution nicht abgeschafft wurde. Sie findet im Geheimen statt, das ist gefährlicher für die Frauen. Bei Terre des Femmes ist unser gemeinsamer Nenner, dass Prostituierte die gleichen Rechte haben müssen wie alle anderen auch. Deshalb wollen wir ein Aufenthaltsrecht für die von Menschenhandel Betroffenen. Sie sollen nicht Angst haben, direkt nach ihrer Aussage abgeschoben zu werden.
Italien gewährt dieses unbefristete Aufenthaltsrecht für Opfer von Menschenhandel. Warum geht das in Deutschland nicht?
Bei uns haben die Innenpolitiker Angst davor, dass Massen von Frauen als Menschenhandelsopfer nach Deutschland einwandern. Nur: An der italienischen Politik sieht man, dass diese Furcht unbegründet ist. Es gab keine Einwanderungswelle von Frauen als Opfer von Menschenhandel. Nächstes Jahr muss sich der Bundestag mit der neuen Opferschutzrichtlinie der EU beschäftigen. Wir hoffen, dass die Politik dann sensibler wird.
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