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Frauenrechte in der TürkeiErdoğans Istanbulgate

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Der türkische Präsident drängt auf Vollmitgliedschaft in der EU. Gleichzeitig hebelt er den Schutz von Frauen aus und treibt die Islamisierung voran.

Türkei, Istanbul am 19. Juni: Protest gegen den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention Foto: Umit Bektas/reuters

E s ist keine zwei Wochen her, da hat der türkische Präsident wiederholt die Vollmitgliedschaft seines Landes in der EU gefordert. „Wir erwarten von der Union, dass sie die strategische Blindheit, in die sie verfallen ist, sofort ablegt“, sagte Recep Tayyip Erdoğan. Und es ist keine drei Monate her, da hatte derselbe Mann den Austritt seines Landes aus der Istanbul-Konvention per Dekret verfügt; seit Juli unterstützt die Türkei nun nicht mehr den Schutz von Frauen vor jeglicher Gewalt.

Was auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hat, hängt allerdings sehr eng zusammen. Ein Land, das ein vollwertiges Mitglied der EU sein will, hat Menschenrechte zu wahren, auch und erst recht die Rechte von Frauen. Erdoğan indes betreibt eine gegenteilige Politik. Das zeigt nicht nur der Austritt aus der 2011 vom Europarat ausgearbeiteten Istanbul-Konvention, die Frauen vor häuslicher und Partnerschaftsgewalt schützen und Gleichberechtigung vorantreiben soll. Erdoğan fordert Familien dazu auf, mindestens drei Kinder zu bekommen. Er will Frauen dazu zwingen, Kopftuch zu tragen.

Nun will nicht jede Frau Kinder bekommen, auch wollen nicht alle Frauen in der Türkei einen Teil ihren Kopfes verstecken. Mittlerweile tun das aber wieder zwei von drei Frauen – ob freiwillig oder nicht. Frau­en­recht­le­r:in­nen fürchten, dass mit dem Austritt aus der Konvention die Zahl misshandelter Frauen und der Femizide steigen wird.

Erdoğans Vorgehen ist ein klares Signal an konservative Kreise in der Türkei und ein deutliches Zeichen für die von ihm vorangetriebene Islamisierung der Gesellschaft. Wie gering er Frauen schätzt, hatte Anfang April auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erfahren. Während EU-Ratspräsident Charles Michel neben Erdoğan auf einem Sessel Platz nehmen durfte, wurde von der Leyen das abseits stehende Sofa zugewiesen. Sowohl „Sofagate“ als auch „Istanbulgate“ befördern die Beitrittsgespräche Türkei-EU nicht gerade. Im Gegenteil: Erdoğan drängt die Türkei immer weiter von der EU weg.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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6 Kommentare

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  • Zunächst etwas zur Wortwahl im Artikel: Menschenrechte sind die Rechte von Männern und Frauen - und wer will kann ja noch die gleichwertigen Rechte von Kindern dazusetzen. Es sind aber nicht die Rechte 'erst recht von Frauen'.

    Zum Thema: Ich hoffe, dass Europas Politiker standhaft bleiben und diesem undemokratischen Autokraten niemals die Tür in die EU öffnen. Sollten die Türken endlich begreifen, dass dieser Herr sie in die erdogan'sche Knechtschaft führt und ihn zum Teufel jagen, dann soll man über den Beitritt verhandeln.

    Neue Mitglieder dürfen nur mit einer strengen Präambel des Vertrages aufgenommen werden, dass die grundsätzlichen Werte und Menschenrechte eingehalten werden. Käme dann bei einem Beitrittsland wieder so ein militanter Luftikus wie wir in der EU ja inzwischen mehrere Staatschefs und -lenker haben, dann bye bye. Denn noch einen Orban oder Kacinsky können wir uns nicht leisten!

  • Die protofaschistische Türkei kann Europa noch ablehnen. Bei den osteuropäischen Oligarchien geht das leider nicht.

  • Erdoganien als Vollmitglied der EU? Nicht einmal mehr ein Wunsch in weiter Ferne.



    Es quält auch der Gedanke, dass Erdogan die zweit stärkste militärische Macht in der NATO befehligt. Erdoganien sollte so bewertet werden wie es sich zeigt - als islamisch orientiertes Staatsgebilde mit osmanischen Großreichfantasien.

    • @m.d.bichlmeier:

      "dass Erdogan die zweit stärkste militärische Macht in der NATO befehligt"

      Sie nehmen hier die Personalstärke als Maßstab, das ist aber irreführend. Ziehen wir den international anerkannten Global Firepower Index zu Rate, ist die Türkei an 4. Stelle in der Nato, hinter Frankreich, dem UK und knapp vor Italien.

      www.globalfirepowe...ntries-listing.php

      • @Sven Günther:

        Das ist ja ne geile Liste...und wir sind nur auf Platz 15 ;-)

      • @Sven Günther:

        Danke für den Link.