Frauenrechte in Saudi-Arabien: Nicht nur verbieten – auch schützen
Mit Nationalismus gegen das wahabitische Establishment: Saudische Frauen erhalten zunehmend Rechte. Die Scheichs toben – aber nicht öffentlich.
Das saudische Staatsfernsehen hatte diese Woche „im Einklang mit unserer Führung und auf Wunsch weiter Teile der Bevölkerung“ hochoffiziell das neueste royale Dekret verkündet, laut dem Frauen nun auch Sportstadien besuchen dürfen. Ganz so als wollte man die erzkonservativen Scheichs des Landes mit einer Portion Nationalismus zum Schweigen bringen.
Nach der Aufhebung des Frauenfahrverbotes ist nur eine zweite Diskriminierungshürde der saudischen Frauen gefallen. Für die saudische Frauenrechtlerin Nassima Al-Sadah ist das ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung des Versprechens des Kronprinzen Mohammed bin Salman, sein Land auch gesellschaftlich zu reformieren. Sie kann es kaum erwarten. „Ich wollte schon immer ins Stadion gehen, das war schon immer ein Traum für uns Frauen. In Saudi-Arabien gibt es viele sportbegeisterte Frauen“, sagt sie in einem Telefongespräch mit dieser Zeitung.
Andere Frauen melden sich in den sozialen Medien zu Wort. „Also 2018 werde ich mit meinem Auto zum Stadion fahren und mit meinen Freundinnen ein Spiel anschauen. Endlich werden wir wie normale Menschen behandelt“, twittert eine saudische Frau namens Rawan.
Öffentlich trauen sich die Scheichs nicht
Doch nicht alle in Saudi-Arabien sind begeistert. Gerade viele der wahabitischen Scheichs, die das Gros des religiösen Establishment ausmachen, hatten in den letzten Monaten immer wieder dagegen gewettert, dass auch Frauen ins Stadium dürfen. „Selbst wenn sie die Stadien vorbereiten und spezielle Räume für Familien bauen. Das wird vom Islam einfach nicht erlaubt. Gott will, dass die Frauen zu Hause bleiben“, hatte der bekannte Scheich Gham Al-Amry im Fernsehen erklärt.
Auch sein erzkonservativer Scheich-Kollege Muhammad Al-Eriefy malte regelrechte Horrorvorstellungen für die konservativen Kleriker an die Wand. „Stellt euch vor, unser Prophet Muhammad käme ins Stadium und müsste Frauen mit Stirnbändern sehen, die ein Team anfeuern. Die Frauen könnten dabei unkontrolliert schreien“, echauffierte er sich. „Die Frauen könnten in unpassenden Umhängen kommen oder sogar Hosen in den Farben eines Clubs tragen. Das öffnet Tür und Tor für böse Dinge“, fürchtete er.
Jetzt nachdem das neue Dekret des Kronprinzen herausgekommen ist, hüllen sich diese Scheichs in Schweigen, genauso wie nach der Aufhebung des Frauenfahrverbotes vor ein paar Wochen. Sie trauen sich offensichtlich nicht, dem Königshaus in der Öffentlichkeit zu widersprechen.
Vision 2030
Der Kronprinz Muhammad Bin Salman hatte in seiner von ihm vorgestellten Vision 2030 letztes Jahr vor allem wirtschaftliche Reformen angekündigt, um das Land von seiner totalen Abhängigkeit von der Ölproduktion wegzubringen und zu diversifizieren. Das geht nicht unter Ausschluss der Hälfte der Bevölkerung, glaubt die Frauenrechtlerin Al-Sadah. „Wenn wir einen wirtschaftlichen Aufschwung für dieses Land wollen, dann kann dieser nicht einbeinig geschehen, also nur Mithilfe der Männer. Damit aber Frauen mit anpacken können, müssen sie die gleichen Rechte bekommen wie die Männer, sie müssen über ihr Leben selbst bestimmen dürfen“, sagt sie. Deshalb ist sie sich sicher, dass Frauen weitere Rechte erhalten werden.
Als nächstes soll die männliche Vormundschaft auf saudischen Ämtern fallen. Bisher brauchen saudische Frauen jeweils die Unterschrift ihrer Väter, Brüder oder Söhne, um Anträge stellen zu können. „Ich gehe davon aus, dass in Zukunft Frauen hier gesetzlich vollkommen selbständig sein werden, keine Bürger zweiter Klasse mehr, dass sie sich frei bewegen werden ohne Vormund“, blickt die saudische Frauenrechtlerin voraus.
Selbst kicken ist der nächste Schritt
Und auch mit der Erlaubnis, in Zukunft Stadien besuchen zu dürfen, ist für Al-Sadah sportlich noch längst nicht alles erreicht. „Natürlich ist es gut, dass nun Frauen in Stadien dürfen, um sich Spiele anzusehen“, meint sie und fügt hinzu: „Aber das reicht uns nicht, wir wollen nicht nur zuschauen, wir wollen selbst auf das Spielfeld“.
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