Frauenquoten helfen allen: Emotionalität ist gefragt
Frauen werden gern Soft Skills nachgesagt. Warum sind sie in den Chefetagen trotzdem nicht gewollt?
F rauen sind – zumindest wenn man sich die Kriminalitätsstatistik anschaut – die besseren Menschen. Dennoch diskutieren wir seit Jahren Frauenquoten – in verschiedenen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen: Um in die Führungsetagen der deutschen Wirtschaft aufzusteigen, bedarf es nach allgemeiner Auffassung der Überwindung einer für Frauen scheinbar undurchdringbaren „gläsernen Decke“. Diese lässt für die Betroffenen lediglich einen Blick von Ferne auf die oberen Ränge der mächtigen deutschen Wirtschaft zu. Die „gläserne Decke“, scheint es, kann nur selten überwunden, aber niemals ganz zerstört werden. Woher also die Angst vor Quoten?
Statistiken entnimmt man, dass Männer die Welt sowohl zahlenmäßig als auch buchstäblich dominieren: Dem letzten UNO-Bericht nach leben 7.632.819.325 Menschen auf der Erde, 49,55 Prozent davon Frauen. Anders ausgedrückt: Auf 100 Frauen kommen 101,81 Männer. Die Männer bleiben damit auf dem gesamten Planeten in der Überzahl – mit etwa 70 Millionen quasi ein eigener Staat. In Deutschland hingegen kommen auf 100 Frauen nur 97,12 Männer. Hier überwiegen die Frauen, nicht jedoch in den Führungsetagen.
Ein Blick in die Chefetagen von Unternehmen und Organisationen genügt. Ein deutliches Missverhältnis gibt es in den Vorstandsetagen. Das Manager Magazin fasste 2015 die Zahlen mit der Überschrift „Weniger Frauen in Vorständen als Männer, die Thomas heißen“ pointiert zusammen.
Zwar gilt seit 2015 für die Aufsichtsräte aller großen deutschen Börsenunternehmen eine Frauenquote von 30 Prozent, jedoch bringt diese Regelung – zumindest bislang – nicht den gewünschten Effekt. Im Gegenteil: Wie eine Studie der AllBright Stiftung beweist, stagniert diese Quote nunmehr eben bei genau 30 Prozent. Und offenbar planen viele Unternehmen nicht, eine Steigerung des Frauenanteils in Vorständen umzusetzen. Viele börsennotierte Unternehmen in Deutschland geben selbst an, bis 2022 keine weiteren Frauen in ihre Vorstandsetagen aufnehmen zu wollen. Ein Fehler, denn wie gesagt: Zumindest nach der Kriminalitätsstatistik sind Frauen die besseren Menschen.
Wer das nicht glaubt, werfe einen Blick in die Knäste des Landes: Die Zahl der weiblichen Tatverdächtigen liegt im 20-Prozent-Bereich. Bei den Inhaftierten machen Frauen rund 5 Prozent aus. Man könnte daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass Männer über mehr kriminelle Energie verfügen. Forscher könnten das wohl auch wissenschaftlich erklären.
Aber Zahlen auf dem Papier sind das eine, Frauenschicksale im realen Leben das andere: Ein Blick in die Frauenhäuser genügt, um das Ausmaß männlicher Gewalt zu erkennen. Auch ist der Anteil der Frauen, die in sozialen Berufen arbeiten, deutlich höher als der der Männer. Und damit natürlich auch der Anteil der Frauen, die sich um geschundene Seelen (männliche und weibliche) kümmern. Manche sagen, die niedrigen Löhne im sozialen Bereich seien der Hauptgrund für das Missverhältnis. Mag sein. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Frauen empathischer und sozialer sind als Männer und deshalb eher soziale Berufe ergreifen.
Was Frauen in Chefetagen zum Nachteil ausgelegt wird, ist im Grunde eine Stärke: Emotionalität. Wie sähe die Welt aus, wenn Menschen, wenn Frauen nicht emotional und sozial wären?
Eine wichtige Frage, die uns im digitalen Zeitalter mit zunehmender Automatisierung beschäftigen muss, ist die Frage: Was unterscheidet den Menschen auch in Zukunft vom Computer? Was also müssen Schulkinder heute lernen, um in 20 Jahren im Arbeitsleben – trotz zunehmender Digitalisierung – unersetzlich zu sein? Und welche Eigenschaften müssen Menschen haben, um nicht mit Computern konkurrieren zu müssen, weil diese Eigenschaften auch im digitalen Zeitalter gebraucht werden? Es sind die sogenannten Social Skills, die den Unterschied machen; dazu zählen etwa auch Kreativität und Kommunikationsfähigkeit.
Fähigkeiten, die gerade auch in Chef- und Vorstandsetagen gebraucht werden. Frauen werden diese Talente nachgesagt. Umso bedauerlicher ist es, dass Frauen um milde Quoten kämpfen müssen, obwohl sie qualifiziert sind und hierzulande mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.
Frauentage, an denen Rosen verteilt werden und die Ungleichbehandlung beklagt wird, sind kein Trost, sondern ein weiterer Ausdruck der Ohnmacht.
Ohnmacht kommt von „ohne Macht“. Doch Frauen mit Wahlrecht sind nicht ohne Macht. Manche von ihnen lehnen Quoten prinzipiell ab. Einige andere wiederum lehnen die Frauenquote ab, weil sie in ihren Augen ein Almosen für kluge Frauen darstellt. Gerne werden hierfür Vorzeigefrauen bemüht, die sich offen gegen die Frauenquote aussprechen. Auch sie argumentieren mit eigener Stärke und dem Argument der Almosen, die sie nicht bräuchten.
Ein Widerspruch: Denn wenn die Frauenquote ein Almosen wäre, warum wird dieses Almosen nicht einfach gewährt? Und warum ist die Quote – trotz der lediglich 30 Prozent, die sie derzeit fordert – so umkämpft? Offensichtlich geht es doch um Macht. Um Macht, die man nicht teilen will. Dass es für die Frauenquote nicht genügend qualifizierte Frauen gebe, ist ein Märchen aus einer Zeit, als man kluge Frauen noch auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Im Jahr 2020 gibt es genügend qualifizierte Frauen. Und angesichts der Nachrichtenlage brauchen wir sie auch. Die Krisen, die wir gerade erleben, lassen sich nur durch Kreativität, neue Denkweisen, Blickwinkel, und emotionales Gespür und kommunikative Fähigkeiten lösen. Es geht bei der Quote also nicht nur um Fairness und Feminismus. Es geht auch um Eigennutz. Jeder kluge Visionär sollte die Frauenquote am besten umgehend umsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen