Frauenhäuser: „Überflüssige Institution“
Die Koordinationsstelle zur Unterbringung von Opfern häuslicher Gewalt stößt auf Kritik. Die bisherigen Strukturen reichten völlig aus, sagt eine Mitarbeiterin.
HAMBURG taz | Hamburg und Schleswig-Holstein richten eine gemeinsame Koordinierungsstelle für die 21 Frauenhäuser mit rund 500 Plätzen in beiden Ländern ein. Ein entsprechendes Verwaltungsabkommen haben Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) und Schleswig-Holsteins Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) vergangene Woche unterzeichnet. Damit solle der länderüberschreitende Schutz von Frauen vor Männergewalt in Hamburg effektiv gebündelt und ein Übergangsmanagement zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben gefördert werden. Auch der finanzielle Ausgleich soll mit diesem Abkommen geregelt werden, denn in den vergangenen Jahren gingen mehr Hamburgerinnen in schleswig-holsteinische Frauenhäuser als umgekehrt.
Was erstmal gut klingt, sorgt jedoch für Ärger. „Eine überflüssige Institution“, sagt die frauenpolitische Sprecherin der Hamburger Linkspartei, Kersten Artus. Die autonomen Frauenhäuser in Hamburg formulieren es diplomatischer: Wenn die Stelle kommen sollte, wollen sie das Beste daraus machen. „Wir hätten eine solche Stelle nie eingefordert“, sagt Verena Roller-Lawrence vor der Notaufnahme-Koordinationsstelle der Hamburger Frauenhäuser.
Denn die Zusammenarbeit der Frauenhäuser habe „im direkten Kontakt immer sehr gut funktioniert“, sagt Roller-Lawrence. Sicher könnte eine Vermittlungsstelle bei Projekten wie beruflicher und schulischer Integration oder bei der Beschaffung von Wohnungen, um die Verweildauer in den Frauenhäusern zu reduzieren, eine positive Rolle spielen, sagt Roller-Lawrence. Doch bei der wichtigen Schaffung von jährlich 55 Plätzen in städtischen Hamburger Wohnungen sei „noch lange kein Durchbruch in Sicht“.
Artus hat die Befürchtung, dass durch die staatliche Koordinierungsstelle den 17 autonomen Frauenhäusern (Hamburg vier, Schleswig-Holstein 13) die Selbstständigkeit genommen und die Notaufnahmen – die Kernaufgaben der Frauenhäuser, die Tag und Nacht erreichbar sein müssen – weggenommen und zentralisiert werden sollen. „Unsere Notaufnahme ist qualitativ gut und fachlich versiert“, sagt Roller-Lawrence. „Wir haben noch nie eine Frau abgewiesen, sondern jede Frau an einen sicheren Ort vermittelt.“
Doch es mangelt an finanziellen Mitteln und damit an ausreichend Personal. Wenn nun die Sozialressorts beider Länder meinten, aus Kostengründen auf die Verteilung über Ort und Stadt Einfluss nehmen zu können, müssten auch sie das Selbstbestimmungsrecht achten, sagt Roller-Lawrence. Die Frau müsse selbst entscheiden können, ob sie sich an einem neuen Ort auf dem Land wohl und sicher fühle. „Wir haben die Befürchtung, dass unser Fachwissen abgeschöpft wird“, sagt Roller-Lawrence. Zudem fürchtet sie, dass die Mittel für die Notaufnahme in eine Koordinierungsstelle gepumpt werden, die notgedrungen fachlich inkompetent die Regie übernehme: „Unsere Notaufnahme werden wir verteidigen.“
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