Frauenfussball im Norden: Der erhoffte Boom
Sportliches und Standing: Wie ist es bei den Nord-Vereinen um die Frauenmannschaften der Nord-Vereine bestellt?
HAMBURG taz | Ambitionierter Aufstieg und jäher Sturz in Hamburg, Hoffnung machende Kunde aus Wolfsburg, nachhaltiger Aufbau bei Werder Bremen: In Sachen Frauenfußball, gibt es bemerkenswerte Unterschiede zwischen dem Hamburger SV, dem VfL Wolfsburg und Werder Bremen.
HSV: Abgang der Stars
Auch diese WM wird wieder ihre Stars hervorbringen. Kim Kulig könnte einer davon sein. Dribbeln gelernt hat sie im Schwabenland, ihren fußballerischen Reifeprozess aber durchlebte sie beim HSV. Hier wurde sie zur Führungs- und schließlich A-Nationalspielerin.
Kulig ist ein Paradebeispiel für die perspektivische Aufbauarbeit, die der HSV schon seit Jahren in der Frauenabteilung leistet. Achim Feifel, Trainer der ersten Mannschaft, kümmert sich intensiv um die Nachwuchsförderung und erreichte am Ende der vergangenen Saison, wovon kaum jemand zu träumen gewagt hatte: den vierten Rang der Frauen-Bundesliga. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die ersten drei Plätze der Eliteliga seit Jahren fest in der Hand von nur drei Vereinen sind.
Wie schnell eine jahrelange Aufbauarbeit aber zunichte gemacht werden kann, zeigte sich kurz nach dem Saisonende. Gerade hatte die zweite Mannschaft des HSV überlegen die Meisterschaft der zweiten Bundesliga Nord gewonnen, da wurde den Frauen mittgeteilt, dass dies ihr letztes Spiel gewesen ist. Die Mannschaft wird zurückgezogen. Gleichzeitig verlautete, dass die Stars der ersten Mannschaft wie Ana-Maria Crnogorcevic oder Kim Kulig den Verein verlassen.
Grund hierfür sind Etat-Kürzungen: Weil die männlichen Profis die internationalen Startplätze verpasst haben, wird jeder Cent benötigt - bei den Männern. So ist auch zu erklären, dass die 25.000 Euro Geldstrafe, die Torhüter Frank Rost nach einem Wutausbruch zahlen musste, nicht der Mädchen-Abteilung zukamen, sondern auf Weisung des Vorstands im Profibereich der Herren verblieben.
Wölfinnen im Aufwärtstrend
Die Leistungsunterschiede im Frauenfußball werden während der WM wieder besonders auffällig sein. Ganz oben spielen drei oder vier Mannschaften, dann kommt lange Zeit nichts.
In der Bundesliga ist das nicht anders. Die beiden Nordklubs spielten in den vergangenen Spielzeiten eher im Mittelfeld. Der HSV am oberen Ende, der VfL Wolfsburg am unteren.
Das wird sich in der kommenden Saison wohl ändern. Die Wölfinnen dürften einen Aufschwung erleben und vielleicht sogar den Anschluss an die Spitze schaffen. Dafür sprechen die Neuzugänge: Conny Pohlers, Torschützenkönigin der vergangenen Saison, wird die Niedersachsen ebenso verstärken wie die Nationalspielerin Lena Goeßling. Ihre DFB-Kolleginnen Martina Müller und Verena Faißt sind schon da.
"Wenn wir Sport machen, wollen wir Erfolg haben", sagte Geschäftsführer Thomas Röttgermann im Handelsblatt und gab damit schon mal die Marschroute für die Saison 2011/ 12 vor. Trainer Ralf Kellermann ist mit einer Kampfansage noch vorsichtig und will sich "erst nach den ersten Trainingseinheiten Mitte Juli auf ein Saisonziel festlegen". Der VfL, eine Tochter von VW, setzt in jedem Fall auf den aufstrebenden Frauenfußball nach der WM und hofft, damit auch für das Marketing eine Zielgruppe zu erreichen, die der Männerfußball nicht abdeckt.
Ob die Bundesliga nach der WM mehr Zuspruch von der Öffentlichkeit erhält, ist unter Fachleuten umstritten. Als einziger Spielort der WM im Norden hat Wolfsburg gute Aussichten, vom erhofften Boom zu profitieren. Und wenn in der WM-Vorrunde alles nach Plan läuft, können die Fans die künftigen Wölfinnen schon mal in der Nationalmannschaft begutachten.
Werder will sich Zeit nehmen
Als letzter der drei Nordvereine hat in der Saison 2007/ 2008 auch Werder Bremen die "Herausforderung Frauenfußball" angenommen. Einen ersten Versuch dazu gab es schon in den siebziger Jahren, als die Frauenmannschaft sogar um die Meisterschaft mitspielte, jedoch nach kurzer Zeit wieder aufgelöst wurde. Danach weigerte sich der Verein über Jahre, wieder eine Mannschaft anzumelden.
Begründet wurde die Ablehnung immer wieder mit Platz- und Kabinenmangel. Als dieses Problem 30 Jahre später gelöst war, nutzten die Frauen ihre Chance gleich in der ersten Saison: mit einem Torverhältnis von 162:0 in der Verbandsliga. Der Aufstieg über die Regionalliga in die zweite Bundesliga folgte ein Jahr später.
Doch da ist erst mal Schluss. Die vorsorgliche Meldefrist für die erste Liga haben die Verantwortlichen im März dieses Jahres verstreichen lassen. Werders Frauen schlossen die Saison zwar nur auf dem fünften Platz ab, ein Zeichen setzte diese Entscheidung aber trotzdem.
Für den Verein ist es ein Zeichen der Nachhaltigkeit. Man wolle sich keinen Kader zusammenkaufen, sondern sich die Zeit nehmen zu wachsen. Für die Spielerinnen und manchen Kenner des Frauenfußballs ist es Sparen an der falschen Stelle, denn ohne Spielerinnen mit Erstliga-Erfahrung wird sich der Verein bei einem Aufstieg in den kommenden Jahren kaum halten können.
In der vergangenen Saison ist auch die zweite Mannschaft in die Regionalliga aufgerückt. Mit dem Erfolg wächst der Druck von unten: Lange werden sich die Spielerinnen die Zurückhaltung des Vereins nicht mehr ansehen - Erstliga-Vereine sind in Hamburg und Wolfsburg schließlich nicht weit.
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