Frau ohne Menstruationshintergrund: Catcalling unterm Phallus
Vatertag in Deutschland gleicht einem Himmelfahrtskommando für weiblich gelesene Menschen. Das ist in Berlin nicht anders.
H e, Süße, komm ma her! Du bist so wat von geil!“, ruft er mir am Alexanderplatz zu. Dann spitzt er die Lippen und macht schmatzende Geräusche. Der Kerl ist schätzungsweise Mitte vierzig. Wehende Steppweste, Kapuzenpulli, kurze Unterbauchjeans, Ringelsocken und Sandalen. Und er ist das Prachtstück des Pulks. Seine weniger modebewusst angezogenen Kumpel gackern, sie spornen ihn an. So legt er nach, als er mir auf Schritt und Tritt folgt: „Zieh ma deene Maske runter – und deen Röckchen!“
„Hervorragend, vor allem deine Wampe“, erwidere ich, als ich ihn, über die Schulter schauend, kursorisch von Kopf bis Fuß mustere. „Ich muss leider gehen. Aber du kannst eh nicht kommen, nehme ich an.“
Männern missfällt es, auf den Schwanz getreten zu werden, zumindest außerhalb von Dominastudios. Demzufolge schwört er gekränkt, dass er mich „holen und flachlegen“ würde.
Vatertag in Deutschland. Es gleicht einem Himmelfahrtskommando, als weiblich gelesene Person überhaupt an diesem Tage unterwegs zu sein. Wie auch am Alex, wo bei dieser Begegnung mit dem Pulk in gewisser Hinsicht die „Rache des Papstes“ wahrzunehmen ist. Ebenjene Etikettierung beschreibt das sphärische Lichtkreuz, das als Reflexion entsteht, wenn die Sonne mal auf der Kugel des Fernsehturmes gleißt.
Kein Kavalliersdelikt
Das ist die Krux der Sache. Catcalling ist kein Kavaliersdelikt. Genau genommen ist Catcalling kein Delikt überhaupt, was die bundesrepublikanische Gesetzeslage anbelangt. In Deutschland hat Catcalling also noch keinen eigenen Straftatbestand, ganz im Gegensatz beispielsweise zu der Lage in Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Portugal.
Hierzulande ist mit Paragraf 184i des Strafgesetzbuches zwar sexuelle Belästigung ausdrücklich verboten und mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe zu ahnden, aber der Paragraf beschränkt sich wortwörtlich auf „körperliche Berührung“. Die verbale Gewalt und die psychischen Schmerzen, die infolge der unaufgefordert lasziven Bemerkungen und aufdringlichen Blicke bei den Opfern entstehen, werden also nicht erfasst.
Es läge auf der Hand, die Taten gemäß Paragraf 185 als Beleidigung zu bewerten. Doch dafür müsse der Täter eine Herabsetzung der betroffenen Person bewusst zum Ausdruck bringen. Mit „ich wollte ihr nur ein Kompliment machen“ können noch erstaunlich viele Catcaller hierzulande laufen und gleichsam auf Freiersfüßen wandeln.
Die Hürden sind für Betroffene so hoch wie der Fernsehturm, bedaure ich, während ich – erhobenen Hauptes fortgehend – den Kopf doch grüblerisch und lamentierend in die Höhe richte. Der bis ins Firmament emporragende Phallus erlangt dabei eine Art Heiligkeit und drückt dabei auch die „Rache des Patriarchats“ aus. Der vom Aussterben bedrohte Macho fühle sich eingeengt. Gender-Gaga, MeToo-Emanzen, Pronomen. Es ist alles ein Zuviel. Deswegen habe er keine andere Wahl, als zum Gegenschlag auszuholen, und sich Gehör zu verschaffen, während sein Antrag auf Artenschutz geprüft wird. Das Weiberanmachen im Wonnemonat gehört sowieso zu den Riten des Frühlings. Es ist die Brunftzeit, die ja mitsamt Bierkiste und Bollerwagen zelebriert wird.
Fakt ist, Chorprobe für Catcallers findet tagtäglich statt, und Frauen sind Freiwild. Dieses Naturgesetz gilt allenthalben, ob in Marzahn oder auf der Museumsinsel, in Köpenick oder auf dem Ku’damm. Das wird auf den Bürgersteigen der Stadt auch protokolliert.
Seit 2019 lädt die inzwischen von nahezu 10.000 Followerinnen gefolgte Instagramgruppe @catcallsofberlin Betroffene dazu ein, ihre diesbezüglichen Erlebnisse mit bunten Kreidestiften zu dokumentieren. Es ist erschütternd, was die Opfer, bereits mit 12 und 13 Jahren beginnend, so alles schildern.
Das Ankreiden ist eine Art Katharsis und gleichzeitig eine Kampfansage an die ebenfalls im Cyberspace wütenden Catcaller, oft von der Gattung Inceligentsia. Denn die farbigen, unzensierten Botschaften der Betroffenen werden gewissermaßen für die Nachwelt abfotografiert, damit sie weder vom Regen noch von den wild pinkelnden Paschas des Patriarchats weggespült werden können.
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