Französische Verfassung: Inspiriert by Uncle Sam
Frankreichs Staatschef Sarkozy will die Verfassung umkrempeln. Offenbar fürchtet er, nicht durchzukommen. Wieso sonst berichten Abgeordnete von "Kaufversuchen"?
PARIS taz Es ist die weitestgehende Verfassungsreform seit der Gründung der V. Republik. Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat sie schon in seinem Wahlkampf versprochen. Und ein großer Teil der FranzösInnen will sie haben. Dennoch steht das Projekt, über das am Montagnachmittag der Kongress - der Zusammenschluss von Nationalversammlung und Senat - in Versailles entscheidet, auf wackeligen Füßen.
Nicht nur die linke Opposition, sondern auch ein Teil der Rechtsliberalen sowie ein kleiner Teil der Abgeordneten der regierenden UMP wollen gegen die Reform stimmen. Bis zum allerletzten Moment versucht Sarkozy persönlich, assistiert von der Regierung, die GegnerInnen der Reform umzustimmen. Mit Mitteln, die manche Abgeordnete als "Druck und Erpressung" bezeichnen. "Man fragt mich, was ich gerne hätte, ob mir eine parlamentarische Mission gefallen würde, und versichert mir, dass wir uns über das Finanzielle einigen könnten", sagt die rechte Abgeordnete Véronique Besse.
Die Verfassungsreform sieht unter anderem vor, dass der französische Staatspräsident vor dem Kongress sprechen kann. Exinnenminister Charles Pasqua, der bis zuletzt erklärte: "Ich glaube nicht, dass ich zustimmen werde", höhnt über die Reform, sie wäre besser auf einen einzigen Artikel beschränkt worden. Denn, so Pasqua, die Möglichkeit, vor den Abgeordneten aufzutreten, "ist das wahre Anliegen von Nicolas Sarkozy, der sich von den amerikanischen Traditionen inspirieren lässt".
Zu den weiteren Inhalten der Institutionenreform gehören die Beschränkung der Zahl der präsidialen Mandate auf zwei und eine Aufwertung mancher parlamentarischer Funktionen. So soll das Parlament befragt werden, wenn ein ausländischer Militäreinsatz länger als sechs Monate dauert. Künftig sollen BürgerInnen den Verfassungsrat einberufen können. Minderheitensprachen in Frankreich bekommen einen eigenen Status.
Die erst von Expräsident Chirac in die Verfassung eingeführte Pflicht zu einem französischen Referendum vor Neubeitritten zur EU wird modifiziert. Nach der Institutionenreform kann ein Referendum oder eine parlamentarische Abstimmung über neue EU-Mitgliedschaften entscheiden.
Das ist ein Grund, weshalb manche SouveränistInnen wie Besse der Verfassungsreform nicht zustimmen wollen. Sie sind gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei und können davon ausgehen, dass ein Referendum auf jeden Fall ein "Non" ergeben würde. Bei einer parlamentarischen Abstimmung wäre das Ausgang ungewisser.
Von den linken Abgeordneten wird als einziger Exkulturminister Jack Lang der Reform zustimmen. Sarkozy hatte Lang in die Vorbereitung der institutionellen Reform eingebunden. Alle anderen Abgeordneten von PS, KPF und Grünen wollen Non sagen. Sie begründen ihre Opposition gegen das Projekt damit, dass die demokratischen Reformen nicht annähernd weit genug gingen. Sie verlange u. a., dass das strikte Mehrheitswahlrecht durch eine Portion Verhältniswahlrecht demokratisiert wird. Bislang haben kleinere politische Formationen wegen des reinen Mehrheitswahlrechts keine Chance, ins Parlament zu kommen. Gegen den Widerstand der UMP konnten die linken Abgeordneten das Wahlrecht nicht demokratisieren.
Vor dem Zusammentreten des Kongresses berichteten Abgeordnete, die mit Nein stimmen wollen, von "Druck, Erpressung und Kaufversuchen" aus dem Regierungslager. Der Rechtsliberale François Bayrou: "Den einen hat man Staatssekretärsposten oder neue Straßen für ihre Wahlkreise versprochen, anderen wurde gedroht, ihre Wiederwahl mit einem Neuzuschnitt der Wahlkreise zu verhindern."
In der V. Republik sind Verfassungsreformen immer - und fast ausnahmslos mit großer Mehrheit - angenommen worden. Am Montag wird sich die Abstimmung knapp - mit vier oder fünf Stimmen Unterschied - ausgeheen. Ein UMP-Abgeordneter sagt, dass eines schon feststehe: "Diese Woche wird den französischen Steuerzahler teuer zu stehen kommen."
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