Frankreichs neuer Innenminister: Macron holt sich einen Draufgänger
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron holt mit Christophe Castaner einen Weggefährten ins Kabinett. Die Personaldebatten belasten die Regierung.
Ursprünglich sah nämlich nichts in seinem Leben nach einer politischen Karriere aus. In einer Kleinstadt im Süden Frankreichs als Sohn eines ehemaligen Militärbeamten und einer Hausfrau geboren, verlässt er 17-jährig, frustriert, rebellisch und in ständigem Streit mit seinem Vater das Elternhaus. Zwei Jahre lang verdient er sich in Spielclubs in Marseille seinen Lebensunterhalt mit Pokern. Ein Spiel, das ihn gelehrt habe „ruhig Blut“ zu wahren – wie er heute angibt.
Er sei der Versuchung des „leichten Geldes“ erlegen, ist seine Erklärung. Das Bild eines „kéké“, eines Draufgängers, hängt ihm immer noch an, auch wenn sein neuer offizieller Spitzname nun „Casta“ ist. Kurz, knackig und wie Castaner sich selbst definiert: effizient. Seine Pokerkarriere beendete er dann aber doch nach zwei Jahren, holte mit 20 sein Abitur als sogenannter „candidat libre“ nach, also mit Vorbereitung auf eigene Faust, und tritt in die sozialdemokratische Parti socialiste ein.
Steile Karriere für Casta
Während seines Studiums des internationalen Rechts engagiert er sich in der Gewerkschaft der Studenten UNEF und findet Gefallen. Er wird Anhänger des sozialistischen Politikers Michel Rocard, der einen liberaleren Strom der Linken Ende der 70er populär machte. Castaners sozialliberale Ausrichtung kommt also nicht von irgendwo, sie stammt aus den Beginnen seines politischen Engagements. Er wird Bürgermeister einer Kleinstadt, Regionalpolitiker und schließlich Abgeordneter im französischen Parlament.
Ende 2015 tritt Castaner schließlich als Spitzenkandidat der Sozialisten zur Regionalwahl in der sehr rechts ausgerichteten Region Provence-Alpes-Côte d’Azur an. Er zieht seine Kandidatur zurück, um den Einzug des Front National in den Regionalrat zu blockieren. Seine Partei dankt es ihm nur wenig. Enttäuscht tritt Castaner daraufhin Emmanuel Macrons Bewegung „En Marche“ bei.
Er wird zum „Mann auf dem Terrain“ und wandert im Sommer 2016 knapp dreihundert Kilometer zu Fuß in seinem Wahlbereich auf der Suche nach Wählern, die bereit waren ihn aufzunehmen und mit ihm über ihre Sorgen zu sprechen. Er will eben auch „ganz normal“ sein, erklärt er. Seitdem ist er einer der engsten und treuesten politischen Mitarbeiter des Präsidenten. Dieser machte ihn 2017 erst zum Regierungssprecher, dann zum Staatssekretär und Vorsitzenden seiner Partei.
Rücktritte belasten Macron
Castaner sagte artig Danke, auch wenn er – das weiß ganz Frankreich – eigentlich auf Höheres schielte. Er musste sich nur noch ein wenig gedulden bis das prestigeträchtige Amt des Innenministers frei wurde.
Ex-Innenminister Gérard Collomb war der dritte Minister, der sich in den letzten anderthalb Monaten von Emmanuel Macron abwandte. Der beliebte Umweltminister Nicolas Hulot gab Ende August seinen Rücktritt bekannt, wenig später folgte Sportministerin Laura Fessel, die ihren Posten „aus persönlichen Gründen“ abgab. Diese Rücktritte treffen Präsident Emmanuel Macron in einer schwierigen Phase.
Seine Umfragewerte sind seit der Affäre um seinen ehemaligen Leibwächter Alexandre Benalla, der auf einem Protest-Marsch am 1. Mai auf zwei Demonstranten einprügelte, deutlich gesunken. Der französische Präsident kämpft außerdem schon seit längerer Zeit mit dem Vorwurf ein „Präsident der Reichen“ zu sein. Um sein Bild in der Öffentlichkeit zu verbessern und seiner Regierung neuen Elan zu geben, nahmen Präsident Emmanuel Macron und sein Ministerpräsident Edouard Philippe deshalb gleich noch weitere Neubesetzungen vor.
Castaners freigewordene Stelle als Staatssekretär und Minister für die Belange des Parlaments, geht an den Politiker Marc Fesneau der liberalen Partei Mouvement Démocrate. Eine Wahl, mit der Macron die politische Mitte ansprechen will, aus der ein großer Teil seiner Wählerschaft kommt. Außerdem holte sich Macron „Expertenprofile“ aus der freien Wirtschaft als Berater von Ministern in die Regierung.
Damit hält Macron zwar nicht, was er im Wahlkampf versprach: den Regierungsapparat zu verkleinern. Er zeigt allerdings, dass er „anpacken“ will und den langwierigen Verwaltungsapparat umgehen möchte. Ob ihm das den erhofften Meinungsumschwung bringt und seine Beliebtheit steigen lässt, bleibt abzuwarten. Auf den sozialen Netzwerken kreisen jedenfalls schon die ersten Karikaturen: Emmanuel Macron als Lucky Luke und Christophe Castaner als treuer Hund Rantanplan. Vom allmächtigen, egozentrischem Präsidenten wegzukommen, wird wohl noch etwas dauern.
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