Frankreichs Verfassungsrat pro Reform: Zum zweiten Mal abgelehnt
Ein Antrag der Linken auf eine Volksabstimmung gegen die Rentenreform scheitert erneut am Verfassungsrat. Nun bleibt ihnen noch eine letzte Option.
Der Entscheid hat nicht überrascht, denn derselbe Verfassungsrat hatte bereits am 15. April gegen einen ersten Text, mit dem ein solches „Referendum“ angestrebt werden sollte, sein Veto eingelegt. Dabei wurde geltend gemacht, eine Abstimmung könne nur verlangt werden, wenn im Gesetzesentwurf etwas Neues stehe. Das gegenwärtige gesetzliche Rentenalter aber sei ja bereits bei 62 Jahren und werde erst ab September schrittweise erhöht. Das klingt pingelig, ist aber formal korrekt. Die Sozialisten, die den zweiten Antrag einreichten, hatten darum ihren Antrag entsprechend ergänzt. Für die strengen Verfassungshüter hat dies aber an der Causa selbst nichts geändert.
Ohnehin erhofften sich die Gegner*innen wenig vom Verdikt des in Frankreich Conseil constitutionnel genannten Verfassungsrates, der ja ohnehin schon die Kernpunkte der sehr umstrittenen Reform zu ihrer Enttäuschung und Empörung als verfassungskonform gebilligt hatte. Verfassungsexperten hatten zudem im Voraus gewarnt, dass sie nur geringe Chancen hätten, auf diesem Weg ein „référendum d'initiative partagée“ (RIP) – eine Volksabstimmung, die von Parlamentariern und mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten unterstützt wird – zu fordern.
Wie eine Befragung der Bürger*innen ausgehen würde, ist wohl klar. Denn laut allen Umfragen lehnen rund zwei Drittel die Reform ab, und eine Mehrheit unterstützt den gewerkschaftlichen Kampf mit Streiks und Demonstrationen. Aus diesem Grund war für Präsident Emmanuel Macron und seine Regierung das Verfassungsurteil eine Art Notbremse. Wäre es anders ausgefallen, wäre das eine Bloßstellung gewesen für die Staatsführung, die sich mit fragwürdigen Methoden – etwa die Nutzung eines Artikels der Verfassung, der es ihr erlaubte, am Parlament vorbei zu entscheiden – über die Volksmeinung hinweggesetzt hatte.
Volksabstimmungen scheitern meist im Anfangsstadium
Ist das institutionelle Instrument der RIP nur zum Schein ein demokratisches Volksrecht? Wie andere seiner Kolleg*innen meint der Verfassungsrechtler Benjamin Morel, Professor an der Pariser Universität Panthéon-Assas, dass dieses Referendumsrecht „so entworfen wurde, dass es in Wirklichkeit nie verwendet werden kann“. Es ist kein Zufall, dass seit 2008, als dieser Artikel unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy in der Verfassung verankert wurde, alle Versuche, eine Abstimmung zu organisieren, schon im Anfangsstadium scheiterten.
Nicht nur müssten innerhalb von neun Monaten die Unterschriften von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten – 4,9 Millionen Menschen – eingebracht werden. Auch die Kriterien, wann überhaupt abgestimmt werden darf, sind streng: Ein RIP darf kein Gesetz betreffen, das vor weniger als 12 Monaten vom Parlament verabschiedet und im Amtsblatt publiziert worden ist. Darum musste der jetzt abgelehnte Antrag in aller Eile eingereicht werden, bevor Präsident Macron mit der offiziellen Verkündung der Reform dem Gesuch der Linken zuvorkommen konnte.
Noch gibt es eine weitere Hintertür für einen parlamentarischen Ausweg aus der Krise: Eine kleine Fraktion von linken und unabhängigen Abgeordneten in der Nationalversammlung hat einen Antrag zur erneuten Diskussion über das Rentenalter eingereicht, über den am 8. Juni debattiert werden soll. Die Gewerkschaften, die weiter geschlossen von der Regierung den Verzicht auf die Umsetzung der Reform fordern, wollen am 6. Juni erneut einen Aktionstag organisieren, um den Druck der Straßen auf die Staatsführung aufrechtzuerhalten.
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