piwik no script img

Frankreichs Elitehochschule vor dem AusMacron macht der ENA den Garaus

Die Elitehochschule hat in Frankreich etliche Präsidenten und Mi­nis­te­r:in­nen ausgebildet – auch den jetzigen Staatschef. Nun soll Schluss sein.

Eingang zur französischen Elitehochschule ENA in Paris Foto: Francois Mori/ap

Paris taz | Aus für Frankreichs Kaderschmiede: Bei einer Videokonferenz mit mehr als zweihundert „Staatsmanagern“, wie er die Spitzenbeamten nun nennen möchte, hat Staatspräsident Emmanuel Macron in der vergangenen Woche sein Versprechen bestätigt, dass er die Verwaltungshochschule ENA abschaffen will. Aus der École Nationale d’Administration gingen seit Kriegsende die höchsten Staatsdiener hervor. Noch vor Ende seines Mandats in 2022 soll eine Reform in Kraft treten, mit der die Elitehochschule durch ein „Institut des öffentlichen Diensts“ (ISP) ersetzt werde, in das auch andere Schulen integriert würden.

Die Alumni der ENA, die Énarques, bilden eine Kaste in der egalitären Republik

Das erklärte Ziel ist es, eine weniger zentralisierte Ausbildungsstätte zu schaffen, die nicht wie die ENA einem technokratischen Elfenbeinturm gleicht. Die neuen Staats­die­ne­r:in­nen sollen mehr auf dem „Terrain“, mit praktischer Erfahrung aus der lokalen Realität ausgebildet werden. Auch mit gewissen Privilegien soll Schluss gemacht werden, wie etwa den lebenslangen Renten oder dem Kündigungsschutz, der bisher den Ab­gän­ge­r:in­nen der ENA nach ihrem erfolgreichen Abschluss als Belohnung winkt.

Pikant daran ist, dass Macron selber ein Produkt dieser Eliteschule ist, die er jetzt schleifen will. Vor ihm waren schon Präsidenten wie Valéry Giscrad d’Estaing, Jacques Chirac, François Hollande und zahllose Regierungsmitglieder in dieser Verwaltungshochschule für ihre Laufbahn an der Spitze des Staatsapparats ausgebildet worden.

Wer, meist nach einem Diplom an der Pariser Hochschule für Politologie Sciences-Po, im sehr strengen Ausscheidungsverfahren für die dreijährige Ausbildung aufgenommen wurde, hatte eine staatlich garantierte Karriere vor sich. In der Reihenfolge ihrer Abschlussnoten können bis heute die ENA-Abgänger ihre Korporation (Finanzinspektion, Rechnungshof, Staatsrat, et cetera) auswählen, von der sie dann auf Lebenszeit ihre Rente beziehen. Die Alumni der ENA, die „Énarques“, bilden eine Kaste in der egalitären Republik.

Für weite Teile der Bevölkerung verkörpert die ENA, die ihren Sitz heute in Straßburg in einem ehemaligen Gefängnis hat, mehr als jede andere Institution die verhasste Elite von „Technokraten“, die zwar in der Lage sind, zu jedem beliebigen Thema Berichte oder Gesetzestexte zu verfassen, von der Realität der meisten Mit­bür­ge­r:in­nen aber keinen Dunst haben.

Zugeständnis an den Volkszorn

Diesen Eindruck bestätigt die soziologische Zusammensetzung der jeweiligen ENA-Klassen, in der laut einer Erhebung im Jahr 2015 Studierende aus Arbeiterfamilien nur gerade 4,4 Prozent der Plätze ergattern konnten. In der Gesellschaft machen sie einen Anteil von 29 Prozent der 18- bis 23-Jährigen aus.

Macron hatte im Februar dieses Jahres bereits mit einer kleinen Reform der Aufnahmekriterien und Stipendien den Zugang zu einem Fünftel der Plätze für Studierende aus sozial und kulturell benachteiligten Familien reserviert. Damit sollte das Image einer Institution, in der eine Elite ihre eigenen Kinder und ihresgleichen fördert, korrigiert werden. Seit Langem weiß man in Frankreich, dass nicht nur in der ENA der „Aufzug“ des sozialen Aufstiegs, der nach Leistung und Talent und nicht nach Herkunft und Protektion befördert, außer Betrieb ist.

Die angekündigte „Abschaffung“ der ENA ist, wie in den Medien unterstrichen wird, ein Zugeständnis an den Volkszorn gegen die Eliten, wie er namentlich mit dem Aufstand der Gelbwesten manifest war.

Sie liefert Macron zudem eine Möglichkeit, mit geringen politischen Kosten noch vor dem Ende seines Mandats eine sehr populäre Reform durchzuführen und damit in Hinblick auf eine eventuelle Wiederwahl zu beweisen, dass er weiterhin das Land und dessen Bürokratie modernisieren will. Er muss dabei aber mit dem hartnäckigen korporatistischen Widerstand der „Énarques“ rechnen, an dem bereits die Reformversuche von Nicolas Sarkozy und François Hollande gescheitert waren.

Die Umfragen und die ersten, fast durchwegs positiven Reaktionen können Macron eher ermuntern. Selbst die frühere ENA-Direktorin Nathalie Loiseau, die heute für Macrons Bewegung En marche im Europaparlament sitzt, ermutigt den französischen Staatschef „diesem Ameisenhaufen einen tüchtigen Tritt zu versetzen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • @RUDOLF FISSNER:

    Keineswegs. Auch deren merkwürdigen Rituale, noch aus napoleonischen Zeiten nicht.

    Sie missverstehen mich (mal wieder). Mein erster Kommentar war lediglich die Bemerkung, dass das Ersetzen der ENA durch Unternehmensberatungen vermutlich in die falsche Richtung führt.

    Nicht, weil die ENA so toll wäre, sondern weil diese Staatsangestellten immerhin noch eine Motivation haben, langfristig zu denken.

    McKinsey und Co.? Wenn's in die Hose geht, sind sie schon weg. Und wenn's zu peinlich wird, dann ändern sie ihren Namen (wie hiess Accenture früher? Der/dem ersten die/der es weiss spendiere ich was in der taz-Kantine, wenn die wieder auf hat. Nicht schummeln!).

    • @tomás zerolo:

      Woher haben Sie ihre Information zur angeblich besseren Beraterqualität der ENA?

      Wer unkündbar mit Privelegien und allem Pimpampo arbeiten kann, muss keine Qualität abliefern. Den kann man nicht wie eine Fa., die Bockmist verzapft hat, auswechseln.

      Ich sehe da bei Ihnen daher nur grundsätzliche Vorurteile gegen Beraterfirmen.

  • @RUDOLF FISSNER:

    Die Welt ist eben manchmal komplexer als nur zwei Pole.

    In Deutschland sind die Konservativen immer auch ein gutes Stück wirtschaftsliberal. In Frankreich gibt es die konservativen traditionell in der Geschmacksrichtung etatistisch -- neuerdings aber eben auch neoliberal.

    • @tomás zerolo:

      Die (lebenslangen) Privelegien der Abgänger der ENA wie Renten und Kündigungsschutz usw. halten Sie also für fortschrittlich?

  • ENA braucht es nicht mehr. Macron liebt, wie uns VdL, die Unternehmensberatungen.

    • @tomás zerolo:

      Und ich dachte immer Mélenchon / Frankreichs Linke als politischer Background der Gelbwesten sind das krasse Gegenteil davon.