Frankfurter Buchmesse: Eindrücke von einem Un-Ort
Die Buchmesse ist vorbei. Sie hatte das Flair einer Flughafen-Shopping Mall. Autoren standen verloren herum - Bücher ungerührt in den Regalen. Eindrücke einer Erstbesucherin.
Wer wollte, hätte ewig dahingleiten können auf den geräuschlosen Rollbändern, die steilen Rolltreppen hinauf- und hinunterfahren und durch die breiten Fensterfronten auf das Karree der vier Messehallen blicken, in deren Mitte, auf einer riesigen steinernen Freifläche, Menschen klein wie Ameisen umherlaufen. Vielleicht macht es die Größe der Buchmesse, dass man mit den roten Drehkreuzen am Eingang auch das Empfinden für Zeit und Alltag hinter sich lässt.
Nicht-Orte nennt der französische Anthropologe Marc Augé solche Orte, in denen Leben und Kommunikation sich in einer Art Dauertransit auflösen. Moderne Orte wie Flugplätze oder Bahnhöfe, die nur passiert werden, um von irgendwo nach irgendwo zu gelangen, und an denen die Entfremdung des Individuums auf den neuesten verkehrstechnischen Stand gebracht wird. Wie ein riesiger Flughafen wirkt auch das Frankfurter Messegelände, sogar kleine Shuttle-Busse kann man benutzen, wenn man den Weg über die Rollbänder und -treppen nicht nehmen will. Nur starten hier keine Flugzeuge, und das Ziel liegt auch nicht in weiter Ferne. Man muss nur durch dichte Schleier von Zigarettenqualm hindurch, die sich vor den verschiedenen Hallen bilden, seit das Rauchen im Innern verboten ist, und schon ist man dort, wo sich wie jedes Jahr im Oktober alles, was zum Verlags- und Buchwesen zählt, zu einem gigantischen Klassentreffen versammelt.
Halle 3.0 erinnert am ehesten an eine moderne Shopping Mall, eine Glasfassade bildet die Längsseite, durch die Sonnenlicht fällt, so dass die künstliche Beleuchtung noch einladender erscheint. In langen Gängen, deren Ende nicht abzusehen ist, findet man die Stände von Random House, Bertelsmann oder vom Hanser Verlag, die geschmackvoll arrangierten Designerwohnlandschaften gleichen. In cremefarbene Wände sind farblich passende Sitzensembles eingelassen, dezente Halogenspots runden das Ganze ab.
Wenn der Eindruck konsumkompatibler Vereinheitlichung nicht dominiert, so hat das weniger damit zu tun, dass jeder durch architektonische Finessen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will: Piper versucht durch besonders in die Höhe schießende Regale zu beeindrucken, Rowohlt hat die subtile Variante gewählt und bremst die Schritte der Besucher durch einen besonders weichen Teppich aus. Für Brüche sorgen aber eher die Einsprengsel kleiner und kleinster Verlage, die mit ihren vier Quadratmeter großen Boxen die Lücken zwischen den Marktführern füllen. "Stolpern sie doch lieber über Elpis!" hat ein unbekannter Philosophieverlag keck auf den Boden geschrieben, dort, wo immer wieder Besucher an der Schwelle straucheln, mit dem dtv die Markierung um seine Ausstellungsfläche zieht (Elpis, griech.: die Hoffnung). Und unmittelbar neben Diogenes hat sich ein kleiner Erotik-Verlag eingerichtet und stört mit seinen bonbonfarbenen "Hollywoods Nudes in 3 D"-Bänden die vermeintliche Seriosität seiner Nachbarn.
Es passt zum traditionellen Kulturbegriff, den der Suhrkamp Verlag noch immer verkörpert, dass sein Stand nicht in der lichten Halle 3.0 in der Nachbarschaft der Literaturgroßproduzenten anzutreffen ist, sondern in Halle 4.1., deren Luft spätestens am zweiten Tag der Messe kaum noch zu ertragen ist.
Überhaupt ist dies die unwirtlichste Halle. Die unverputzte Betondecke ist niedrig, Rohre und Kabel liegen frei. Tageslicht gibt es keins. Suhrkamp indessen will für eine andere Art der Illumination sorgen. Dem neu gegründeten "Verlag der Weltreligionen", der in diesem Herbst mit den ersten Bänden an den Start ging, ist die meiste Regalfläche überlassen. Ob das als Reflex auf die verlagsinterne Situation gelesen werden muss (Trudeln, Querelen und Untergang sind wohl die häufigsten Stichwörter, die über Suhrkamp in der vergangenen Zeit zu hören waren), kann jeder für sich entscheiden. Tatsächlich sieht die mäßig verschraubte weiße Holzkonstruktion des Suhrkamp-Stands irgendwie wacklig aus im Vergleich etwa zu dem elegant dunkelgrünen Metallensemble, in dem der Fischer Verlag seine Neuheiten aus dem Herbstprogramm präsentiert.
Aber so etwas kann täuschen. Seltsam verloren wirken - darin wiederum glichen sich die Verlage - die als "Autoren am Stand" Angepriesenen, die mit ihrer Anwesenheit so etwas wie die Authentizität der Bücher rundum bezeugen. So recht scheinen sie nicht zu wissen, wozu sie geladen sind. Deshalb sitzen sie herum, trinken Wasser aus Sektgläsern oder Espresso, den nahezu jeder Verlag an der standeigenen Maschine brüht, und man wünschte ihnen, nicht plötzlich von den vorbeiziehenden Besuchermassen geschluckt zu werden. Ab und zu bilden sich in den Gängen zwischen den Ständen kleine Ansammlungen, bringen den Besucherstrom für kurze Zeit zum Erliegen und dem einen oder anderen Autor die ersehnte Aufmerksamkeit. Julia Franck, die Gewinnerin des Buchpreises, lächelt freundlich in die Kameras der Fotografen und in die Gesichter der Gratulanten. In der Mehrzahl sind es allerdings Politiker, die man inmitten dieser kleinen Trauben erblickt, etwa den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer, der nonchalant über eine gerade erschienene Biografie plaudert, oder den gegenwärtigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der die eigene Lesebeflissenheit kundtut.
Wer nun all diesem Trubel und Aufwand mit vollkommener Gelassenheit trotzt, sind die, über die noch gar nicht gesprochen wurde, obwohl das Ganze doch um sie kreist: die Bücher. Wie Sammeltassen standen sie in den Regalen der Stände, in luftigem Abstand zueinander, das Cover nach vorne gewendet, und strahlen eine eigentümliche Ruhe aus. Von den Besuchermassen lassen sie sich ebenso wenig beeindrucken wie davon, dass an langen Tischen oder in Kabinen, eng wie Dixieklos, im Akkord über den Kauf und Verkauf ihrer Rechte verhandelt wird.
Auch dass 30 Prozent der ausgestellten Produkte digitale Formate sind, die dem Buch seine Existenz angeblich streitig machen wollen, tangiert sie nicht. "Schau mich ruhig an, blätter ein bisschen in mir. Haben kannst du mich nicht", scheinen sie zu sagen. Jedenfalls nicht gleich (denn verkauft werden Bücher nur an den Flohmarktständen vor den Messehallen). Diese Unverkäuflichkeit der Bücher mag ihre Anziehungskraft noch steigern. Wie Fetische werden sie als Diebesgut aus den Hallen geschmuggelt, und die Verlage freute es. Einen besseren Indikator für den künftigen Erfolg eines Titels gibt es angeblich nicht.
Vielleicht liegt es an dem Schlafmangel, dem man nach einigen Tagen Buchmesse samt der obligatorischen abendlichen Partys nicht mehr entkommen kann und der das Denken seltsam durchlässig macht. Vielleicht an ein paar zufälligen Begegnungen und Gesprächen oder an der ein oder anderen Kostbarkeit, die man in einem der Stände entdeckt: Wenn man schließlich im Zug sitzt und das Frankfurter Hochhauspanorama hinter sich lässt, ist man auf eine - zugegeben etwas peinliche Weise - melancholisch und enthusiastisch zugleich. Trotz aller Rekorde, die auch in diesem Jahr wieder vermeldet wurden - steigende Besucherzahlen, mehr Aussteller als je zuvor -, hat man, wenigstens für die nächsten Tage, überhaupt keine Lust, in das kulturkritische Trompeten über die Vermassung und den Untergang des Buches einzustimmen. So, wie sie in Frankfurt in den Regalen standen und stattdessen die Besucher es waren, die sich in Massen auf Rollbändern haben umhertransportieren lassen, wirken sie auf wunderbar altmodische Art beständig und unkorrumpierbar. Wenns dann am Ende doch nur ein Buchmessen- Rausch gewesen sein sollte, hat er sich zumindest gut angefühlt.
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