Fragwürdiges Gerichtsurteil: Rechte gibt es nicht
Wer einen „Bürger in Wut“ politisch rechts verortet, muss mit einer Verurteilung wegen übler Nachrede rechnen – zumindest beim Amtsgericht Bremen.
BREMEN taz | Ist es üble Nachrede, einen Politiker politisch einzuordnen? Ja, befand am vergangenen Montag das Bremer Amtsgericht – und verurteilte den Angeklagten Jörn Hermening zu 1.500 Euro Geldstrafe, weil er es wagte, Mark Runge, Bürgerschaftskandidat der rechtspopulistischen „Bürger In Wut“ (BIW), bei Facebook als „Rechten“ zu betiteln.
Hermening ist Initiator der Facebook-Gruppe „Ein Zuhause in Bremen nicht nur für ausgewählte Flüchtlinge“. Gegründet hat er sie als Reaktion auf die inzwischen nicht mehr öffentliche Gruppe der Bürgerinitiative „Rekumer Straße 12 Nicht mit uns.“ Deren Mitglieder hetzen mit teils eindeutig rassistischen Tönen gegen eine Jugendhilfe-Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Bremen-Nord.
Auch die politische Heimat von Mark Runge ist auf diesen Zug aufgesprungen: „Vollzug statt schöner Wohnen“ heißt es zynisch auf einem BIW-Wahlplakat direkt vor dem Haus der Jugendhilfe-Einrichtung. Runge ist bei Facebook Mitglied der Pegida-Sympathisanten-Gruppe „SPW Sammelbecken politischer Wutbürger“ sowie der Gruppe „Konservative Bürgerbewegung“, in der selbst die AfD schon mal als „linkspopulistisch“ gilt.
„Immer wieder sind Leute in meine Facebook-Gruppe eingetreten, die eindeutig zur ’Rekumer Straße Nicht mit uns‘-Gruppe gehören – und genau die wollen wir bei uns ja eben nicht haben“, sagt Hermening. Darunter sei auch Mark Runge gewesen. Im vergangenen November machte Hermening sich in „seiner“ Facebook-Gruppe öffentlich Luft über seinen Unmut: „Da weiß man nicht, ob es sich um „Doppelagenten“ handelt (...) Rechte Schweine, die sich bei den Pro-Gruppen erkundigen wollen? Solche Anfragen hatte ich schon mehrere, einige Rechte sind ja sofort zu identifizieren gewesen, Mark Runge und so. Hab keinen Bock mehr drauf, hier verkappte rassistische Sprüche zu löschen“, schrieb er – und wurde von Runge angezeigt.
Hermenings Anwalt Alexander Jung liest Runges Anzeige vor: „Ich bin Gegner der straffälligen minderjährigen Flüchtlinge in der Rekumer Straße 12 in Bremen-Rekum. Darum habe ich mich einer Gruppe angeschlossen, die gegen die Rekumer Straße 12 öffentlich demonstrieren. Das hat ein Sozialarbeiter namens Jörg Hermening zum Anlass genommen, mich persönlich zu denunzieren. Im Internet, bei Facebook, hatte er eingestellt, dass ich sofort als ein ’Rechter‘ zu erkennen wäre. Das empfinde ich als üble Nachrede und darum erstatte ich Strafanzeige gegen Herrn Hermening und stelle Strafantrag“, so der Wortlaut. „Ich habe darum gebeten, das Verfahren einzustellen und war auch ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass das geschehen würde“, sagt Jung. „Aber stattdessen folgte ein Strafbefehl.“ Das war Anfang Februar. Und nach Jungs Einspruch kam es dann keine zwei Monate später schon zur Verhandlung.
„Auch die ging schnell, nämlich gerade einmal eine halbe Stunde“, sagt Jung. Runge hätte nicht einmal erscheinen müssen. „Der Richter hat sein Urteil dann mit den Bezeichnungen ’Doppelagenten‘ und ’Rechte Schweine‘ begründet, dabei wurde Runge gar nicht so genannt – und er selbst hat das ja auch nicht zur Anzeige gebracht.“
Wegen übler Nachrede nach Paragraf 186 des Strafgesetzbuches verurteilte Sebastian Warzecha-Köhler, Richter am Bremer Amtsgericht, Hermening dennoch zu 30 Tagessätzen à 50 Euro – und Jung legte sofort Berufung ein. „Ich frage mich, was das zu bedeuten hat, wenn man jemanden offensichtlich nicht mehr einer Position auf dem politischen Spektrum zuordnen darf“, sagt Jung.
Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt ihm noch nicht vor, das kann bis zu fünf Wochen dauern: „Aber die Sache ist ja eindeutig“, sagt er – und räumt ein: „Nach diesem unglaublichen Urteil rechne ich allerdings mit allem, bis hin zum Gang vors Verfassungsgericht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?