Fragestunde mit Angela Merkel: Immer im Dienst
Pflichtbewusst und bescheiden: So präsentiert sich Angela Merkel. Auf Nachfragen reagiert sie professionell – außer bei einem Thema.
Eher nicht. Merkel präsentiert sich gewohnt faktensicher, egal ob es um die Zukunft der Stahlindustrie, Glasfaser oder die Zollunion mit der Türkei geht. Und vor allem – als Sowohl-als-auch-Politikerin.
So müssen man in Sachen Dieselgate natürlich Stickoxid-Grenzwerte und Umweltschutz im Auge haben, aber vor allem die Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Ihre Formel zum Verbrennungsmotor floatet im Ungefähren zwischen der CSU, die Dieselautos für ein Grundrecht hält, und den Grünen, die ihn 2030 verbieten wollen.
So ähnlich klingt Merkels Doppelbotschaft zur Flüchtlingspolitik: nämlich Hilfe für afrikanische Länder, vielleicht Kontingente für legale Einwanderer plus Abschottung der EU-Grenzen und Bekämpfung der Schlepper. Es gehe darum „jungen Menschen in Afrika Hoffnung zu geben“, sagt sie leutselig. Von EU-Nahrungsmittelexporten nach Afrika, die dort lokale Märkte ruinieren, ist nicht die Rede.
Perfekt gerundetes Selbstbild
Die Frage, ob ihr Herz eigentlich für die Flüchtlingskanzlerin 2015 oder die Abschottungskanzlerin 2017 schlage, versteht die Kanzlerin nicht. „Ich arbeite nicht mit solchen Begriffen“, sagt sie. In ihrem offenbar perfekt gerundeten Selbstbild entspringt die Aufnahme der Flüchtlinge 2015 „dem gleichen Geist“ (Merkel) wie der jetzige Versuch der EU, mit Geld für Auffanglager und Grenzkontrollen die Flüchtlinge aus dem Süden möglichst fern zu halten. Auch der ausgesetzte Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidärem Schutz fügt sich erstaunlich fugenlos in dieses Bild. Darüber will die Kanzlerin Anfang 2018 mal diskutieren. Wie der humanitäre Impuls, 2015 Flüchtlinge aufzunehmen zu der Hartherzigkeit passt, Familien auseinander zu reißen, bleibt ihr Geheimnis.
Bei Fragen, bei denen es unübersichtlich wird, wird Merkel weitschweifig. Wo offensichtlich Fallstricke lauern („Finden Sie sich auch langweilig?“) steuert sie professionell ein artwandtes Thema an und beteuert, wie interessant doch der Wahlkampf dieses Mal sei.
Der glänzendste Moment der 90-Minuten Performance ist einer der unauffälligsten – es geht um die Türkei. Leider sei man da in einer „sehr komplizierten Phase“. Weil die türkische Regierung grundlos Deutsche wie den Menschenrechtaktivisten Peter Steundtner oder den Welt-Korrespondenten und ehemaligen taz-Redakteur Deniz Yücel inhaftiert hält, werde man die Zollunion EU-Türkei blockieren. „Ich würde sehr gerne bessere Beziehungen zur Türkei haben, aber wir müssen die Realität betrachten“, so Merkel. Der Ton ist freundlich, verbindlich, der Inhalt klar. Wem das zu emotionslos ist, begreift nicht, dass Erregungsrhetroik nur Erdogan nutzen würde.
Und ansonsten? Alles auf bestem Wege. In der EU sinkt die Arbeitslosigkeit, Merkel sieht Wachstum überall. Nun gelte es nach dem Euro auch die Wirtschaftspolitik enger zu verknüpfen. Was das genau heißt, bleibt vage.
Ziemlich souverän kontert die Kanzlerin den Vorwurf, teure Bundeswehr-Hubschrauber für Wahlkampfzwecke zu nutzen. Das sei erstens rechtlich in Ordnung, zudem schon lange Usus und außerdem sei sie als Kanzlerin „immer im Dienst“. Will sagen: Sie muss halt auch mal zwischen zwei Wahlkampfterminen eine Krise lösen können.
Anders, verlegener klingt das bei der Minijob-Affäre. Im Bundeskanzleramt organisieren enge Berater von Merkel als Minijobber für 450 Euro im Monat den CDU-Wahlkampf, darunter ihre Vertraute Eva Christiansen. „Es sollte möglich sein, dass Mitarbeiter im Kanzleramt sich außerhalb ihrer Arbeitszeit für die Partei engagieren können“, so Merkels Rechtfertigung. Mit den Minijobs habe man beides, so Merkel schmallippig, „klar getrennt“.
Wirklich? Dass Merkels wichtigste Vertraute in Sachen Medien sich nach Dienstschluss noch ein paar mies bezahlte Gedanken macht, wie ihre Chefin ihren Job behält, das ist eine eher einfältige Vorstellung. Man muss nicht misstrauisch sein, um das für eine Ausrede zu halten.
Merkel, pflichtbewusst, bescheiden, immer im Dienst. Dieses Bild hat sich nach 12 Jahren eingefräst. Nun hat es einen Riss. Nicht groß, aber sichtbar.
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