Fotos protestierender Frauen: Ikonen des Widerstands
Borlänge, Istanbul, Baton Rouge: Warum uns Bilder von Frauen faszinieren, die sich Männern entgegenstellen – und warum das fragwürdig ist.
Ieshia Evans ist überall. Manche sehen die 28-Jährige morgens in der Zeitung am Frühstückstisch, andere auf dem Computerbildschirm auf Arbeit oder erst abends im Bett auf dem Telefon. Evans ist in jedem Fall nicht zu übersehen. Und sie fasziniert. Wie sie anmutig in ihrem gräulich gemusterten Kleid mitten auf der Straße steht, hinter ihr Leere, vor ihr eine Polizeikette, aus der heraus zwei Männer auf sie zustürmen.
Dieses Bild einer der Verhaftungen in Baton Rouge am vergangenen Samstag und Sonntag ist zum Sinnbild des friedlichen Protests von Bürger_innen gegen rassistische Polizeigewalt geworden. Hier die Schutzlosen, dort die Gepanzerten. Die Bildsprache dieser Momentaufnahme des Fotojournalisten Jonathan Bachman ist zu stark, um sich ihr zu entziehen. Und so wird die New Yorker Krankenschwester Ieshia Evans gerade zur Ikone von #BlackLivesMatter.
Evans’ Rücken ist auf dem Bild kaum bedeckt, ihr Kleid so erstaunlich dünn im Vergleich zu der massiven Montur der Polizisten. Es fließt förmlich um ihren Körper. Evans wirkt zerbrechlicher, aber gleichzeitig erhabener, da sie aufrecht steht und damit die leicht gebückten Polizisten überragt.
Ein Autor des US-Magazin Salon meinte sogar, die Polizisten erweckten auf den ersten Blick den Anschein, als würden sie sich vor der Größe Evans’ verneigen. Oder an ihr abprallen.
Diese Art Bilder tauchen in letzter Zeit immer wieder auf. Erst im Mai sahen wir die Schwedin Tess Asplund, wie sie sich mit hoch gestreckter Faust einem Tross von 300 Neonazis in Borlänge entgegenstellte. In ihrem Gesicht liegt neben Erhabenheit auch Kampfeslust, die Faust macht das sehr deutlich. Auch wirkt die 42-Jährige mit ihren abrasierten Haaren radikaler, härter, eher wie eine Kämpferin. Bei Evans bewegen die Zartheit durch das Tragen eines Sommerkleids und die unmittelbare Polizeigewalt besonders.
Diese Pole bestimmen auch die bekannteste Fotografie der Gezi-Proteste vor drei Jahren. Der Independent beschrieb das Bild von Ceyda Sungur sogar als Leitmotiv der Proteste in Istanbul. Die junge Wissenschaftlerin steht darin in ihrem roten Sommerkleid einer Mauer von Polizisten gegenüber, einer davon richtet Tränengas direkt auf sie, sodass es ihre Haare in die Luft türmt. Später wird Sungur vor Schmerzen auf einer Bank zusammenbrechen. Der Subtext des Bilds: Eine moderne Frau widersetzt sich einer reaktionären Regierung.
Alle drei Fotografien haben die gleiche Bildaufteilung: Links stehen Männer in einer Formation, rechts die einzelne Frau. Genau in dieser Richtung lesen wir Bilder, von links nach rechts, wie Texte. Wir sehen also zuerst die Polizei, die Neonazis, die Gefahr. Kommt unser Blick im rechten Teil des Bilds an, bleibt er sofort hängen. Hier geht es nicht weiter. An den Frauen auf den Bildern kommen nicht nur die jeweiligen Männer nicht vorbei, sondern auch der Blick der Leser_innen verharrt.
Nach diesem Bildaufbau funktioniert auch eines der bekanntesten Bilder der Anti-Vietnamkrieg-Proteste. Der französische Fotojournalist Marc Riboud hielt die damals 17-jährige Jan Rose Kasmir fest, die beim Marsch auf das Pentagon am 21. Oktober 1967 einer Reihe von bewaffneten Soldaten eine Blume entgegenstreckt. Auch hier: die Gewalt links, die Unschuld rechts.
Wir bleiben beim Lesen der Bilder an diesen Frauen hängen. Es sind schöne Frauen. Sie sind Kämpferinnen und gleichzeitig Poster-Girls einer Welt, von der wir träumen. Gewaltfrei, schön, divers. Eine Welt der klaren Fronten. Hier gut, da böse. Die Frauen stehen für das Reine, das man selbst gern hätte. Das Bild von Ceyda Sungur wurde 2013 sogar auf einem großen Transparent ausgedruckt. Die Stelle, an die Sungurs Kopf gehört, wurde ausgeschnitten, sodass man den eigenen Kopf für ein Foto durchstecken konnte.
Die Frauen werden in den jeweiligen Bildern zu Allegorien. Für Sanftmut, Moral, Frieden. Die Männer symbolisieren den Staat, das Öffentliche, die Frau das Familiäre, das Private. Auch die Berichterstattung greift dieses Bild auf. In Artikeln über Ieshia Evans wird immer wieder betont, dass sie Mutter und nur aus New York zu den Protesten gefahren sei, damit ihr Sohn in einer besseren Gesellschaft aufwachsen könne.
Im Prinzip denken wir Frauen noch immer als wehrlos und schwach. Sie bleiben damit passive Objekte und werden nicht zu handelnden Subjekten – obwohl sie sich hier entgegenstellen. Gleichzeitig dichten wir ihnen moralische Überlegenheit an. So lösen Frauen wie Evans, Asplund und Sungur Mitleid und Bewunderung zugleich aus. Die Bilder bewegen sich zwischen Widersprüchen, die aufgrund spezifischer Geschlechterbilder fortdauern. Und schließlich sind die Frauen auf den Fotografien auch schöne Unnahbare, eine sexuelle Fantasie. Eine Projektion.
Gefragt hat die Frauen keiner der Fotografen, ob sie ihre Bilder im Netz verbreiten dürfen. Nachdem sie zum Internet-Hit wurde, bekam es Tess Asplund verständlicherweise mit der Angst. Schließlich sind Neonazis nicht gerade für Ruhe und Besonnenheit bekannt. Ceyda Sungur verweigerte sich Interviewanfragen, auch sie wollte die Bekanntheit nicht. Ieshia Evans trat vermutlich sehr bewusst auf die von der Polizei leer geräumte Straße, um sich bei der Verhaftung fotografieren zu lassen. Es ist die perfekte Inszenierung einer starken Frau als anbetungswürdige Ikone.
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