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Fotoprojekt über „Kreuzberger Mischung“Remixing Kreuzberg

Auf dem Dragonerareal wird die Berliner Mischung neu erfunden. Ann-Christine Janssons Fotos zeigen Hoffnungen und Ängste, die damit verbunden sind.

Matteo sagt: „Seit der Coronapandemie gehe ich auf das Dragonerareal und höre Podcast“ Foto: Ann-Christine Jansson

Berlin taz | Alle lieben sie, aber keiner traut sich. Was in den Kreuzberger Hinterhöfen einmal Alltag war – Wohnen und Arbeiten auf engstem Raum – verbietet heute die Bauordnung. Der Lärm!

Gleichwohl taucht das Wort Mischung (wahlweise als Berliner oder als Kreuzberger) heute in jedem Exposé von Investoren auf. Es ist ein Modewort geworden und damit auch ein Allerweltsbegriff. Jeder, der das Wort benutzt, mischt sich seine Mischung selbst. Hauptsache, es sieht nicht nach Homogenität aus, denn die gilt als langweilig.

Wer wissen will, was Mischung meinte, bevor es zum Modewort wurde, sollte einen Blick auf die Fotografien von Ann-Christine Jansson vom Kreuzberger Dragonerareal werfen. Jansson zeigt die, die schon lange nicht mehr vorkommen, wenn es um gemischte Quartiere geht. Kfz-Mechaniker, Künstler mit wenig Geld und viel Platzbedarf, Betreiberinnen von Clubs wie dem „Gretchen“. Vor allem bei Autoschraubern und Clubs heißt es schnell: „störendes Gewerbe“. Auf dem 4,7 Hektar großen Gelände am Mehringdamm und an der Obentrautstraße in Kreuzberg gehört es dazu.

Ausstellung und Fotografin

Die Ausstellung „Dragonerareal im Wandel“ mit Fotografien von Ann-Christine Jansson ist ab Freitag, dem 14. Mai, zu sehen. Es handelt sich um eine Open-Air-Ausstellung in der Kiezgalerie am Zaun hinter dem Finanzamt Kreuzberg. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Bitte beachten: Es gelten die Regeln der Corona-Hygienevorschriften. www.jansson-photography.com (taz)

Wer das Dragonerareal von der Obentrautstraße her betritt, steht vor einem der denkmalgeschützten Gebäude. Es sind ehemalige, wenn auch umgebaute Pferdeställe der historischen Garde-Dragoner-Kaserne. Am Finanzamt, dem eigentlichen Kasernengebäude, erinnert eine Gedenktafel daran, dass während der Novemberrevolution Soldaten der beiden in der Kaserne stationierten Garde-Dragoner-Regimente sieben Besetzer des Vorwärts-Gebäudes in der Lindenstraße ermordet hatten. Was für eine Rolle vorwärts: Mehr als hundert Jahre nach Revolution und Gegenrevolution soll auf dem einstigen Kasernengelände eines der zivilsten, weil basisdemokratischsten Projekte der Berliner Stadtentwicklung entstehen.

Langwierig und mühsam

Der Weg dahin, auch das sieht man auf den Fotografien von Ann-Christine Jansson, ist langwierig und mühsam. Wie jeder basisdemokratische Prozess bringt er auch eine Menge an Gremien hervor. Das ist zunächst das Forum Rathausblock, eine Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger, das alle zwei Monate tagt und niedrigschwelliger Einstieg wie Austauschplattform gleichermaßen ist. Wer thematisch tiefer einsteigen will, kann in eine der vielen Arbeitsgruppen gehen. Das Gremium, in dem am Ende die Entscheidungen getroffen werden, ist der Zukunftsrat.

Demokratie ist anstrengend, und manchmal tut sie auch weh, weil auch die beste Abstimmung Verliererinnen und Verlierer hervorbringt. Auch das sieht man auf den Fotografien von Jansson: Menschen, die sich Sorgen um ihre Zukunft machen. Denn natürlich wissen sie, dass es eng wird auf dem Gelände. Laut dem im Januar 2020 gekürten städtebaulichen Entwurf des Architekturbüros „Smaq Architektur und Stadt“ und „Man Made Land“ sollen auf dem Dragonerareal 525 neue, bezahlbare Wohnungen gebaut werden.

Wohnen und Gewerbe? Geht das? Und was ist mit dem Lärm?

Schon in den Monaten vor dem städtebaulichen Wettbewerb waren sich die Beteiligten darüber einig geworden, die Nutzung auf dem Gelände neu zu verteilen. Das Gewerbe sollte in den Norden Richtung Obentrautstraße ziehen, der Wohnungsbau vor allem im Süden Richtung Yorckstraße hin realisiert werden. Dazwischen sollte eine Art Lärmwand als Puffer entstehen.

Mit der Entscheidung für den Entwurf von „Smaq Architektur und Stadt“ und „Man Made Land“ sind diese Überlegungen konkreter geworden. „Urbane Fabrik“ heißt das Zauberwort. Die Kfz-Werkstätten sollen in einem Gewerberiegel untergebracht werden, der unmittelbar hinter den denkmalgeschützten Pferdeställen an der Obentrautstraße errichtet werden soll. Eine Art lärmschützende Käseglocke soll also über die Autoschrauber, den Club und ihr „störendes Gewerbe“ gestülpt werden.

Das Dragonerareal

Geschichte Der Name des Areals geht auf die Garde-Dragoner-Kaserne zurück, die sich im heutigen Finanzamt am Mehringdamm befand und von 1850 bis 1854 errichtet wurde. Auch ehemalige Ställe sind erhalten.

Gepokert 2015 hat die bundeseigene Bima das 4,7 Hektar große Gelände für 36 Millionen Euro an einen Wiener Investor verkauft. Doch der Bundesrat stoppte den Verkauf. 2017 ging das Gelände in den Besitz von Berlin. Seitdem werkeln Land, Bezirk, BIM, WBM und Initiativen an der Zukunft des Geländes.

Gewonnen Laut dem im Januar 2020 gekürten städtebaulichen Entwurf des Architekturbüros „Smaq Architektur und Stadt“ und „Man Made Land“ sollen 525 neue Wohnungen gebaut werden. Bezahlbar sollen sie sein, einen Teil wird die WBM bauen, aber auch Genossenschaften und das Mietshäusersyndikat sollen zum Zug kommen. (wera)

Die Urbane Fabrik ist eine der Vorzeigeideen, mit denen die Kreuzberger Mischung neu erfunden werden soll. Das zweite ist ein Wohnhochhaus mit 16 Stockwerken. Wenn nicht genügend Platz in der Fläche da ist, heißt es auch auf dem Dragoner­areal: hoch hinaus. Um das Hochhaus soll das neue Quartierszentrum entstehen. Manchmal bedeutet Mischung eben auch: Alles wird anders, damit diejenigen, die da sind, bleiben können.

Es ist ein Experiment. Und hört man dem zu, was die Beteiligten erzählen, spürt man auch die Angst davor, dass es scheitern kann.

Offene Fragen gibt es viele: Werden die neuen Mieterinnen und Mieter die Mischung zu schätzen wissen und das bisschen Lärm, das bleibt, ertragen? Oder werden sie, die keiner gefragt hat, das Experiment im Nachhinein zu Fall bringen? Wie viel Stadt steckt in der neuen Mischung und wie viel Dorf?

Ann-Christine Janssons Fotografien sind eine Momentaufnahme. Das Festhalten eines ungewissen Zustands. Nicht mehr und noch nicht. Aber Kreuzberg hat sich getraut. Die Karten im Quartier werden neu gemischt.

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