Fotograf über das Lager Sandbostel: „Die Schicksale sind spürbar“
Carsten Karstensen fotografiert die Gedenkstätte Lager Sandbostel um zu verarbeiten, was ihm dort durch den Kopf geht. Nun zeigt er seine Arbeiten.
![Carsten Karstensen steht im Lager Sandbostel Carsten Karstensen steht im Lager Sandbostel](https://taz.de/picture/6442375/14/Portrait1-1.jpeg)
taz: Herr Karstensen, worüber wurde bei Ihnen zuhause nie gesprochen?
Carsten Karstensen: Ich wurde schon sehr früh politisch geprägt, weil meine Eltern bis zu ihrem Lebensende den Holocaust geleugnet haben. Als ich auf die Rente zuging, habe ich mich als ehrenamtlicher Fremdenführer in der Gedenkstätte Lager Sandbostel beworben. Der Titel meiner Fotoausstellung bezieht sich auf eine Aussage, die ich sehr, sehr häufig von Gästen höre.
Es hätte dort durchaus Dinge gegeben, über die zu sprechen gewesen wäre.
Hier in Stalag X-B sind zwischen 10.000 und 50.000 Menschen ums Leben gekommen. Das ist Alltag gewesen, das hat jeder gesehen. Wir haben Fotografien von Schulausflügen, bei denen an einem Zaun vor sowjetischen Kriegsgefangenen Rassenkundeunterricht gegeben wurde. Wenn ich Leuten aus der unmittelbaren Umgebung von diesen Verbrechen erzähle, sind sie sehr schockiert darüber, dass man ihnen nie etwas davon vermittelt hat.
Was löst dieser Ort in Ihnen aus?
70, war Diplomingenieur Elektrotechnik, ist passionierter Fotograf und ehrenamtlicher Gästeführer an der Gedenkstätte Lager Sandbostel.
Eine große Demut, manchmal auch Bestürzung. Dieser Ort ist getränkt mit Geschichte und Geschichten. Das ist meiner Ansicht nach spürbar. Von den ehemals 35 Hektar des Kriegsgefangenenlagers stehen ja noch 16 historische Gebäude. Man kommt an der Steinbaracke vorbei, und sieht einen Stein, in dem ein sowjetischer Kriegsgefangener seinen Namen eingeritzt hat. Das ist Geschichte zum Anfassen und beeindruckt die Leute schon stark.
Drücken Ihre Bilder etwas aus, das Worte so nicht können?
Es ist ja keine Dokumentation, sondern mein persönlicher Blick auf diesen Ort. Gerade, wenn man mit Angehörigen von ehemaligen Lagerinsassen spricht, ist das manchmal sehr bewegend. Diese Schicksale, das, was mir durch den Kopf geht, versuche ich zu verarbeiten. Da ist kaum ein Bild dabei, wo eine Person drauf ist. Ich lasse den Ort sprechen.
Geht das den Teilnehmer*innen der Fotoworkshops, die Sie dort anbieten, auch so?
Die Leute kommen ja ganz gezielt wegen des sehr engen Kontaktes zu diesem Ort. Ich habe auch noch nicht erlebt, dass das irgendwie missbraucht oder in einen falschen Kontext gebracht wurde. Wir würden niemals Fashion oder Aktfotografie zulassen, um Gotteswillen! Meistens gehe ich mit einer Fotogruppe rüber, wenn die Gedenkstätte geschlossen ist. Dann sind wir total ungestört. Oft kommen da wirklich sehr emotionale Dinge zum Vorschein. Ich habe bestimmt schon bis zu 6.000 Aufnahmen dort gemacht und entdecke immer was Neues. Permanent.
Gibt es dennoch wiederkehrende Motive?
Ausstellung „Davon wurde zu Hause nie gesprochen“: bis 30. 8., Volksbank Zeven, Vitus-Platz 3. Führung mit Carsten Karstensen: immer donnerstags, 17 Uhr
Workshop „Fotografieren lernen – an einem besonderen Ort“: Sa + So, 19. + 20. 8., Gedenkstätte Lager Sandbostel. Teilnahme kostenlos, Spende gern gesehen, Anmeldung: c.karstensen@stiftung-lager-sandbostel.de
Sehr viele Fenster. Fenster haben eine hohe Symbolik, sie ermöglichen sowohl einen Einblick in ein Leben oder einen Ort, aber auch gleichzeitig den Ausblick in die Ferne. Ein Bild ist perfekt, wenn sich dahinter eine Geschichte verbirgt. Zum Beispiel hatten Angehörige in den Flur einer Baracke einen Strauß Rosen abgelegt. Ein Gast hat eine dieser Rosen genommen und in das Fenster gestellt. Das habe ich durch Zufall dann entdeckt und fand es sehr aussagekräftig und melancholisch. Ich nehme immer das, was ich vorfinde, stelle nichts hin oder verändere nichts.
Worüber sollte heute mehr geredet werden?
Zum einen sollte dieses Thema nicht relativiert werden. Gerade bei dem Erstarken der Rechten, nicht nur in Deutschland, muss man einen Gegenpol setzen und zeigen, wohin Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, und Nationalismus führt. Dieser Ort steht dafür, was passiert, wenn man solche Parteien gewähren lässt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!