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Fotoausstellung zur frühen RockmusikDie Geburt eines Stars

Als es noch keine Knebelverträge gab: Eine Ausstellung im Essener Folkwang-Museum zeigt die spannende Anfänge der Beziehung zwischen Fotografie und Rockmusik.

Hinter einem Ständer mit Coverfotos der Musikzeitschrift "Bravo" aus den 1960ern und 1970ern: Fotografin im Museum Folkwang in Essen. Bild: dpa

Als Alfred Wertheimer 1956 den jungen Elvis Presley mit seiner Kamera begleitete, gelangen dem Fotografen Impressionen, die in ihrer Unmittelbarkeit so nicht mehr möglich wären. Neben Bildern von Konzertauftritten, auf denen der spätere King seinen legendären Hüftschwung perfektioniert, zeigen ihn die Aufnahmen der Schwarzweißserie in eher privaten Momenten. Allein im Zug sitzend, gedankenverloren beim Abhören einer neuen Schallplatte oder ein wenig hilflos vor dem Waschbecken, die nassen Hände abgespreizt, weil im Abteil die Papierhandtücher ausgegangen sind. Alfred Wertheims Bilder, so ein zeitgenössischer Kritiker, besitzen die Intimität eines Tagebuchs und die Bedeutung eines historischen Dokuments.

Inzwischen haben sich die Bedingungen völlig geändert. Auf welche Weise sich die Rockfotografie im vergangenen halben Jahrhundert gewandelt hat, zeigt die Ausstellung "A Star Is Born" im Essener Museum Folkwang, wo auch einige von Wertheimers Bildern zu sehen sind. In der Anfangszeit des Rock hatten Fotografen wie er völlig freie Hand, zu entscheiden, wen sie fotografierten, wie und in welchem Moment. Heute müssen Bildreporter vor Konzerten mehrseitige Knebelverträge unterschreiben, bevor ihnen Zutritt gewährt wird. Vorab wird geregelt, wo die Fotos veröffentlicht werden dürfen, dass sämtliche Negative abgegeben und die Verwertungsrechte abgetreten werden müssen. Das Fotografieren selbst ist meist nur während der ersten drei Stücke erlaubt. Bei Stevie Wonder sogar nur eine Minute.

Stars wie Kiss, Prince und Bob Dylan lassen erst gar keine Journalisten mit Kameras zu. Bei ihren Auftritten herrscht totales Fotografierverbot. Da ist es nur konsequent, wenn Redaktionen und Agenturen Gigs boykottieren. Gegen Besucher, die ihr Fotohandy reinschmuggeln, können die Ordnungskräfte nicht vorgehen. Nur gegen Profis mit schweren Apparaten.

DIE AUSSTELLUNG

Unter dem Titel A Star Is Born. Fotografie und Rock seit Elvis zeigt die Fotografische Sammlung des Museum Folkwang, Essen, bis zum 10. Oktober 2010 eine große Sonderausstellung mit rund 300 Ausstellungsobjekten, darunter Fotografien, Plattencovern, Zeitschriften und Autogrammkarten aus einem Zeitraum von rund 60 Jahren. Der zugehörige Katalog ist erschienen im Steidl-Verlag, Göttingen (30 Euro).

In den frühen Jahren, als Rockmusik noch unter dem Etikett Rock 'n' Roll firmierte, waren Bilder von Musikern eng an die traditionelle Porträtfotografie angelehnt, was mit dem anfangs biederen Auftreten von Anzugträgern wie Elvis Presley und Jerry Lee Lewis gut korrespondierte. Bevor Eltern und Lehrer Rock als Teufelswerk diffamierten, besuchten Stars wie Chuck Berry Schulklassen und signierten brav Schallplatten. Die erste Band, die zu einem visuellen Befreiungsschlag ansetzte, waren die die Rolling Stones. Ihr cleverer Manager platzierte die Jungs in der Nähe der Themse vor einer schäbigen Häuserwand. Schicke Kostüme hatte die Gruppe nicht dabei, sie kam, wie sie war, in ihren Alltagsklamotten. Damit war der erste Schritt getan, ein Gegenmodell zu den properen Beatles aufzubauen.

Knapp ein Jahrzehnt später begleitete Annie Leibovitz die Rolling Stones auf ihrer USA-Tournee. Mit spektakulären Bildern von Rockmusikern wie Alice Cooper und John Lennon hatte sich die Mittzwanzigerin einen Namen gemacht und stieg rasch zur Cheffotografin des Magazins Rolling Stone auf. Zunächst prägten Direktheit und ein hoher Grad an Emotionalität ihre Bilder. Später, als Leibovitz auch Politiker, Filmstars und andere Prominente ablichtete, setzte sie auf ausgeklügelte Environments, um Stars möglichst effektiv in Szene zu setzen.

Kalkulierte Provokationen, wie sie die Rolling Stones inszenierten, versuchten viele angehende Rockstars nachzuahmen. Einigen gelang es sehr gut, etwa David Bowie, der 1972 während eines Konzerts vor seinem Bandkollegen niederkniete und die Saiten dessen von E-Gitarre mit dem Mund bearbeitete. An so einem Foto, das damals für Empörung sorgte, nimmt heute niemand mehr Anstoß. Eher schon an den Red Hot Chili Peppers, die nur mit einem Strumpf bekleidet den Zebrastreifen auf der Abbey Road überqueren. Vorbild der Inszenierung sind die Beatles auf dem Cover der LP "Abbey Road". Allerdings war das Quartett nicht nackt. Das Originalfoto ist in der Ausstellung ebenso zu sehen wie Burk Uzzles Fotografie eines Pärchens, das sich in Woodstock mit einer Patchworkdecke umhüllt. Vergleichbare, im Rückblick ikonische Bilder finden sich in Essen nur wenige. Eines der berühmtesten Bilder ist das Cover des Albums "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band". Die von Peter Blake für die Beatles entworfene Collage zählt zu den am häufigsten adaptierten Bildern der Rockgeschichte. Der Kunsthistoriker Walter Grasskamp hat dem komplexen Artwork ein ganzes Buch gewidmet und zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse gemacht.

Neben originalen Fotografien versammelt die Ausstellung auch viele Fan-Memorabilia, darunter Autogrammkarten, Kaugummisammelbilder, Tourposter und einen Starschnitt von Elvis. Vom King ist ebenfalls eine Wand aus aneinander gereihten Titelbildern von Musikmagazinen zu sehen. Im gleichförmigen Gesichtsausdruck ähnelt das vielfarbige Arrangement einem Siebdruck von Andy Warhol. Das kurioseste Stück ist keine Fotografie, sondern ein Mini-Plattenspieler aus Plastik, auf dem CDs abgespielt werden können. Die Band The White Stripes verkaufte das limitierte Objekt auf einer Tour.

Wieso das Duo in der Schau vertreten ist, andere zeitgenössische Musiker nicht, ist müßig. Es sind derer einfach zu viele. Alle großen Namen sind jedenfalls mit einem oder mehreren Bildern vertreten. Die breite Spanne reicht von den Doors über Jimi Hendrix, Janis Joplin, David Bowie, Queen und Kiss bis hin zu Prince, Nirvana, Courtney Love und Franz Ferdinand. Einen Gegenpol zu den typischen Rockimages sind die auch heute noch bemerkenswerten Inszenierungen von Künstlern wie Art Kane und Pierre & Gilles sowie die dokumentarischen Aufnahmen von Timm Rautert, die 1970 während des Isle of Wight Festivals entstanden sind.

Die Hochphase der klassischen Rockmusik und somit auch der Rockfotografie ist längst überschritten. Die musikalischen Genres überschneiden sich, alles ist möglich. Rock trifft auf Techno und Reggae auf Rock. Mag die Masse der Bildproduktion auch heute über soziale Netzwerke ihren Vertrieb finden und mögen Do-it-yourself-Konzepte auf der Höhe der Zeit sein, wird es doch weiterhin Bilder von Live-Konzerten geben, von angehimmelten Stars und begeisterten Fan-Massen. Rock ist wohl einfach nicht totzukriegen.

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1 Kommentar

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  • T
    Toby

    "Die Hochphase der klassischen Rockmusik und somit auch der Rockfotografie ist längst überschritten."

    - nicht zu leugnen.

     

    "Die musikalischen Genres überschneiden sich, alles ist möglich. Rock trifft auf Techno und Reggae auf Rock."

    - das allerdings ist ein uralter Hut. Die frühem Siebziger zeichnen sich aus als die Geburts- und Hochphase des Bindestrichrocks. Damals wurde bereits jeder existierende Stil mit dem Leitstil Rock verknüpft, wo es nur ging.

     

    "Rock ist wohl einfach nicht totzukriegen."

    - und das bliebe ein frommer Wunsch. Rock ist museal geworden. Ich könnte aktuelle Rockbands mit Relevanz an einer Hand abzählen. Und dabei hätten zwei bis drei Finger Pause. Und die "großen Alten" tun auf ihren Rollatortouren und Reunionalben seit Jahren wirklich alles dafür, ihren eigenen Ruf zu ruinieren. Ernst zu nehmender Rock existiert beinahe nur noch in den tiefen Rillen antiquarischer Schallplatten.