Fossiliensuche: Jäger in der Grube

In den Zementgruben von Hannover gilt: Wer etwas findet, darf es behalten. Aus ganz Deutschland kommen die Hobbyarchäologen zum Buddeln - Berufsforscher meiden die Gruben. Statt mit der Spitzhacke nach Großfossilien zu suchen, analysieren sie die Mikroorganismen, die ihre Bohrungen zutage fördern.

Fördert unablässig neue Schätze aus der Kreidezeit zutage, ohne Verwendung dafür zu haben: die Zementgrube Teutonia-Nord. Bild: dpa

Erst geht es 500 Meter über die Bahngleise, dann führt ein steiler Weg bis auf den Grund eines riesigen lebensfeindlichen Kraters. Mit jedem Meter nach unten wird die Luft staubiger, die Pflanzenfarbe wechselt von grün zu kaki zu aschgrau. Willkommen in der Zementgrube Teutonia-Nord in Anderten bei Hannover.

Udo Frerichs, 70, verbringt fast jedes Wochenende in dieser Einöde aus Schotter und Staub. Der Hobbygeologe hackt uralte Überreste von Ammoniten, Donnerkeilen, Schwämmen und Muscheln aus dem Gestein, selten auch mal Meeressaurier und Haie.

Und Frerichs ist nicht allein. Dort, wo in der Woche ein Schaufelbagger Kalk für die Zementherstellung abbaut, werkeln samstags und sonntags kleine Grüppchen von Sammlern mit Spitzhacken. Eine davon ist der Arbeitskreis Paläontologie Hannover, wo Frerichs seit den Siebzigerjahren aktiv und heute im Vorstand ist.

Frerichs und ein Vereinskollege begutachten einen familienpizzagroßen Nautilus, den sie leicht beschädigt geborgen haben. Sie debattieren, was damit geschehen soll. Beide haben zuhause so reichhaltige Sammlungen, dass ihn keiner sonderlich dringend möchte. Liegen lassen wollen sie ihn aber auch nicht. Ein anderer Sammler kommt hinzu, zuckt mit den Achseln und schlägt mit dem Hammer auf das Fossil, und Frerichs und sein Kollege ärgern sich: die perlmuttenen Innenkammern sind vollständig erhalten, "ein wunderbarer Innenteil", sagt Frerichs. Sammler und Nautilus verschwinden in der Staubwüste.

Dass Hobbyforscher überhaupt in die Grube hinein und 80 Millionen Jahre alte Naturwunder hinausschleppen dürfen, hat mit der Rechtslage in Niedersachsen zu tun. Wer ein Fossil entdecke, dürfe es grundsätzlich behalten, sagt Paläontologin Carmen Heunisch, zuständig für die Hannoveraner Fossiliensammlung bei der Bundesanstalt für Geowissenschaften. Das Land hat kein Gesetz zum Bodendenkmalschutz, auch kein "Schatzregal" mit wichtigen Funden der Region, wie in anderen Bundesländern üblich.

Und in Hannover erteilen gleich zwei große Gruben der Zementindustrie offiziell Genehmigungen an Fossiliensammler. Inoffiziell ziehen die Sammler auch dorthin, wo sonst noch gebaggert und gesprengt wird, geben sich Tipps, wenn Gleisbauarbeiten "durch die Oberkreide" gehen, organisieren Exkursionen zu Großbaustellen. In Niedersachsen müsse sich der Finder immer noch mit dem Grundstückseigentümer auseinandersetzen, sagt Paläontologin Heunisch, von "ungehemmtem" Ausbuddeln könne keine Rede sein.

Glück für die Fossilienjäger also, dass der Eigentümer der Zementgrube Teutonia-Nord, die Heidelberg Cement AG, kein gesteigertes Interesse an Kreidezeit-Kopffüßern zeigt. Ihr Geschäft ist das staubige Muttergestein. Im Verwaltungsgebäude der Grube hingen zwei recht große Schnecken, sagt Klaus Schreiber, Koordinator der Besucher-Genehmigungen. Ansonsten hätten die Arbeiter, die in der Woche die Grube ausbaggern, aber selten besondere Kenntnis oder Interesse an Fossilienkunde.

Dass die Betreiber die Mergelgrube kostenlos öffnen, ist nicht selbstverständlich - deutschlandweit gibt es nur eine Handvoll begehbarer Gruben, meist bewacht und nur gegen Gebühr. Anderten ist anders, hier nehmen die Besucherzahlen zu, auch aus dem benachbarten Ausland kommen Sammler, "ein Selbstläufer", sagt Koordinator Schreiber. Es dürfen auch mal ganze Schulklassen herein, sonst aber höchstens 20 Personen am Tag.

Trotzdem hat der Arbeitskreis Paläontologie von Udo Frerichs eher Nachwuchssorgen: "Der Verein ist völlig überaltert", sagt Frerichs. Das liege auch an den schlechten Berufschancen für Paläontologen und Geologen: Schulkinder hätten noch Interesse, doch Fossilien-Fachleute im Studentenalter gebe es kaum noch.

Tatsächlich haben die Amateure oft erstaunliches Spezialwissen. Das Fachgebiet von Udo Frerichs sind die Seeigel des Campan, einer Epoche in der Kreidezeit, die vor 83 Millionen Jahren begann und vor 70 Millionen Jahren endete. "Ich bin aber nicht nur auf Oberkreide fixiert", sagt er, gelegentlich geht es auch mal in die Tongrube Resse. Dort kennt er aber nicht alle Arten und ist seinerseits auf Kollegenhilfe angewiesen. Der Hannoveraner Arbeitskreis versteht sich auch als Brücke zur hauptamtlichen Paläontologie, und die Arbeitsteilung - "wir finden, die Fachleute bestimmen" - scheint zu klappen. Auch mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften arbeiten die Fossilienjäger eng zusammen, informieren über Funde und schicken Fossilien zur Bestimmung an die Landesmuseen.

Faktisch übernehmen die Hobbyforscher in ihrer Freizeit den dreckigeren Teil eines rückenschädigenden Geschäfts. Größere Funde aus den Steinbrüchen sind in den letzten Jahren seltener geworden - nicht, weil schon alles abgebaut und gefunden wäre, sondern weil das Zementwerk aufgehört hat zu sprengen. "Bei den Lockerungssprengungen früher konnte man vieles besser sehen", sagt Klaus Schreiber von der Zementgrube Teutonia-Nord . "Wenn das Gestein heute gleich von der Baggerschaufel auf den LKW kommt, erkennt man gar nichts mehr."

Doch echte Sensationsfunde sind selten, und politisch erwünscht oder glamourös waren Urzeit-Wassertiere sowieso noch nie. Die Landesmuseen hätten wohl mehr für Gemälde übrig als geologische Sammlungen, vermutet Frerichs. Und das in der Fossilienregion Hannover, "wo doch das gesamte Erdmittelalter hier vertreten ist". Bei Großfossilien der Kreidezeit gilt vieles als schon bekannt - der Forschung reichen mittlerweile Mikrofossilien aus Bohrungen, um weiterzukommen. Großfossilien haben zwar "nach wie vor ihren Wert", sagt Wissenschaftlerin Heunisch. Aus Sicht der Forschung sind Hingucker wie der Nautilus aber eher uninteressant.

Hobby-Paläontologen wie Frerichs ficht das nicht an. Seinen größten Fund, einen fast meterbreiten "Pachydiscus"-Ammoniten, hat er mit seinem Sohn auf eine Trittleiter geschnallt und aus der Zementgrube geschleppt. Nun hängt die Riesenschnecke, selbst gesandstrahlt und geklebt, an der Terrassenwand seines Hauses in Langenhagen.

Im ganzen Haus hat seine Leidenschaft für versteinerte Meerestiere Spuren hinterlassen. Die Sammlung nimmt fast das gesamte Dachgeschoss ein, die Werkstatt ist wegen Staub und Kompressorlärm in den Keller verbannt. Dort schleift und poliert Frerichs seine Funde in einem abgedichteten Kasten. Fünf Staubsauger hat er dabei schon durchgebracht. Seine Frau hat Verständnis. Das einzige, was sie nicht versteht, ist warum ihr Mann beim Sandstrahlen nicht den Mundschutz aufzieht. Das findet sie "einfach leichtsinnig".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.