Forscher über Anschlagsgefahr: "Al Quaida ist keine Armee"

Der Islamwissenschaftler und Terrorismusforscher Guido Steinberg zweifelt an der These, in Nordafrika würden Anschläge auf Deutschland geplant.

Keine Befehle nach Maghreb? Bin Laden. Bild: dpa

taz: Herr Steinberg, die Bundesregierung will gegen potenzielle Terroristen vorgehen wie gegen Hooligans. Kann das klappen?

Guido Steinberg: Fakt ist, es gibt den Wunsch der Al Quaida in Pakistan Anschläge hierzulande zu verüben - dokumentiert ist das in Videos spätestens seit 2007. Grundsätzlich ist es deshalb richtig vor den Bundestagswahlen die Sicherheit zu verstärken und bekannte Islamisten verschärft zu überwachen. Dennoch können diese Maßnahmen eine entscheidende Schwäche der deutschen Sicherheitsbehörden nicht verdecken.

Welche?

Sie wissen viel zu wenig über das, was in der radikalisierten islamistischen Szene abläuft. Nehmen wir nur einmal die 140 Gefährder, welche die Polizei zu Hause besuchen will. Bisher war es stets ein Problem, dass die Leute, die hier Anschläge verüben wollten, bis zu ihrer Festnahme gar nicht als Gefährder auf den Listen der Polizei auftauchten. In der Szene bewegt sich viel, neue Leute kommen hinzu und andere tauchen ab.

Aber können die Behörden durch einen erhöhten Druck die Szene nicht einschüchtern?

Wie wollen Sie jemanden einschüchtern, wenn sie nicht einmal genau wissen, wer dieser jemand ist? Unter dem Verfolgungsdruck der vergangenen Jahre sind viele radikalisierte Islamisten aus Deutschland an Sprachschulen überall in der arabischen Welt gegangen - nach Ägypten, Syrien manche sogar in den Jemen. Andere suchten die Trainingslager in Pakistan auf. Über diese Leute wissen die Behörden sehr wenig.

Wie soll sich das ändern?

Vor allem die Nachrichtendienste müssen näher an diese Szene heran. Sie brauchen Muttersprachler, die dazu fähig sind, in das Millieu einzutauchen - nicht nur Islamwissenschaftler, die das Ganze lediglich von außen beobachten können. Bisher setzen die Dienste und die Polizei außerdem zu sehr auf technische Überwachung. An die wirklichen gefährlichen Aktivisten kommt man jedoch nur mit menschlicher Informationsgewinnung heran. Diese Leute muss man nämlich erst einmal finden.

Guido Steinberg, 41, studierte Islamwissenschaften und promovierte über Saudi-Arabien. Bis 2005 arbeitete er im Referat Internationaler Terrorismus im Bundeskanzleramt. Seitdem forscht er in Berlin für die Stiftung Wissenschaft und Politik unter anderem zum islamistischen Terrorismus.

Die Bundesregierung will mit einem Aktionsplan auf mögliche Terroranschläge vor der Bundestagswahl reagieren. Das meldet der Spiegel. Geplant seien unter anderem umfangreiche Kontrollen der Reisenden von und nach Pakistan oder Nordafrika auf deutschen Flughäfen. Verdächtige Passagiere sollen noch am Terminal vom Inlandsgeheimdienst Verfassungschutz befragt werden. Außerdem wollen die Sicherheitsbehörden Hausbesuche bei den 140 Islamisten machen, welche die Polizei als Gefährder einstuft. Besonders im Visier stehen dabei Sympathisanten der Al Quaida im Maghreb. Aufgrund einer Information aus den USA gehen die deutschen Behörden davon aus, dass Terroristen aus Nordafrika in Deutschland einen Anschlag vorbereiten.

Wie viel ist denn an der Theorie dran, dass die Filiale von Al Quaida in Nordafrika einen Anschlag in Deutschland verüben soll?

Meiner Meinung nach, gar nichts. Laut den US-Informationen klingt es ja so als hätte die Al Quaida von Bin Laden den Nordafrikanern den Befehl gegeben, nun auch in Deutschland Anschläge zu verüben. Aber die Al Quaida im Maghreb ist keine Befehlsempfängerin von Bin Laden. So funktioniert dieses Netzwerk nicht.

Die einzelnen Organisationen arbeiten aber doch zusammen, oder nicht?

Nein. Die einzelnen Gruppen sind sehr selbstständig. Die Quaida im Maghreb hat ihren eigenen Fokus, der klar in Nordafrika liegt. Wenn sie Anschläge in Europa verübt, dann vielleicht noch in Frankreich, weil es das allgerische Regime stützt oder in Spanien, weil es einmal muslimisch war und nach Meinung dieser Leute wieder werden soll.

Das heißt, sie widersprechen der These von Al Quaida als globalisierter Terrororganisation?

Nein, aber sie funktioniert nicht wie eine Armee oder ein Konzern. Die Terroristen im Maghreb haben den Namen Al Quaida angenommen, weil ihnen die Rekruten in Richtung Irak davongelaufen sind. Dort schien es attraktiver zu kämpfen. Sie haben sich Osama bin Laden vor allem aus PR-Gründen untergeordnet. Ihr Hauptziel bleibt der Sturz des Regimes in Algerien.

Wer könnte sonst einen Anschlag in Deutschland verüben?

Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es gibt in Deutschland doch drei, vier Rekruten, welche den Sicherheitsbehörden nicht bekannt sind. Das wäre angesichts der benannten Schwächen nicht unwahrscheinlich. Oder Aktivisten versuchen aus Pakistan einzureisen. Gleich drei Organisationen haben Deutschland von dort aus ins Visier genommen: Al Quaida, die Islamische Jihad Union und die Islamische Bewegung Usbekistan.

Und die einzige Vorgehensweise dagegen soll immer mehr Überwachung heißen?

Kurzfristig belibt uns hierzulande nichts anderes übrig, weil wir die längerfristigen Ansätze bisher vernachlässigt haben. In Großbritannien und den Niederlanden gibt es vielversprechende Modellprojekte zur Deradikalisierung von Jugendlichen. In Amsterdam beispielsweise existieren Stellen, an die sich jeder wenden kann, der bei einem Bekannten eine Radikalisierung bemerkt. Dann wird versucht zu helfen.

Und wie?

Vielleicht mit einer Beratung bei familiären Problemen. Oder indem man versucht, einen Job für den Betreffenden zu finden. Die Idee dahinter ist, das Problem auf lokaler Ebene anzugehen. Die Menschen sollen gar nicht erst ins radikale Milieu abrutschen.

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