■ Formiert sich in der Koalition eine Anti-Euro-Front?: Der tragische Kanzler
Mitte der 80er Jahre kamen einige pfiffige Linke auf die Idee, daß wahre Internationalisten eigentlich Kohl wählen müßten. Denn nur Kohl stand, anders als die stets etwas wankelmütige SPD, für eine mutige Pro-Europa-Politik. Kohl schien, mochte man ihn auch ansonsten wenig sympathisch finden, die Lektion seiner Generation gelernt zu haben. Seine Europa-Euphorie stammt aus den 50er Jahren, als eine idealistische Jugend in einem vereinten Europa die historische Antwort auf die faschistische Katastrophe sah. Kohls Bemerkung, beim Euro gehe es nun um „Krieg und Frieden“, klingt heutzutage rätselhaft überdramatisch. Sie hat dort, in der überschwenglichen Europa-Idee der 50er, ihre Wurzel.
Kohl und der Euro – diese Geschichte scheint nun ein tragisches Ende zu nehmen. Zwar steht der Kanzler eisern zu Maastricht – doch hat er selbst durch kurzsichtige, arrogante Politik das ganze Projekt ins Schwanken gebracht. Bonn spielte sich als monetaristischer Zuchtmeister auf, nun schafft man selbst kaum die Kriterien. Waigel führte die Öffentlichkeit mit seiner Geheimniskrämerei (3,0 Prozent erlaubte Neuverschuldung sind 3,0, eigentlich aber 3,3) so lange an der Nase herum, bis auch Parteifreunde entnervt abwinkten. Gerade Waigels „Schnapszahlenmystik“, so Heiner Geißler gestern, sei daran schuld, daß der Euro wackele. Nun lichten sich auch die eigenen Reihen. Der CSU scheint Jospins Sieg ein willkommener Anlaß zu sein, um endlich eine „Verschiebungsdebatte“ anzuzetteln. Wobei Verschiebung eine freundliche Formel dafür ist, daß man das ganze Projekt so schnell wie möglich beerdigen will.
So wächst die Anti-Euro-Front. Bisher schien es so zu sein: Das Volk ist eigentlich dagegen, die politische Klasse, abgesehen von einigen deutschnationalen Hitzköpfen, durchweg dafür. Das ist vorbei. Schröder fordert immer mal wieder eine Verschiebung. Und auch bei Tietmeyer klingt bisweilen durch, wenn der Euro nicht komme, sei das halt nicht zu ändern.
Für die Opposition heißt das: Wenn Kohl nicht in der Lage ist, den Euro durchzusetzen, muß Rot-Grün dieses Erbe übernehmen. Das ist nicht damit getan, indem man monoton Waigels Rücktritt fordert. Wenn Maastricht als neoliberales Projekt gescheitert ist, muß die Opposition sagen, welche Euro-Kriterien sie will. Das kann und muß sie beantworten. Rätselhaft ist indes, wie die SPD diese Aufgabe bewältigen will, wenn sie mit dem Anti-Europäer Gerhard Schröder an der Spitze in den Wahlkampf zieht. Wird sich also 1998 für Internationalisten wieder die mißliche Frage stellen: Wer Europa will, muß Kohl in Kauf nehmen? Stefan Reinecke
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