Fordern, Fördern, Fallenlassen: „Das bremst Leute aus“
■ Ein Arbeitslosenberater über den Versuch, Arbeitslosen Beine zu machen
Martin Lühr berät in einer der ersten Bremer Selbsthilfeeinrichtung, der AGAB in Walle, Arbeitslose und solche, die es werden könnten. Was kommt bei der unabhängigen Beratungsstelle an von der neuen Arbeitsmarktpolitk Schröder'scher Prägung, mit der Arbeitslose ,aktiviert' werden sollen?
taz: Wen haben Sie grade beraten?
Martin Lühr: Einen Betriebswirt, 26 Jahre alt, finanziell ziemlich klamm, der eine versprochene Promotionsstelle nun wohl doch nicht kriegt. Er wird jetzt Sozialhilfe als Darlehen beantragen. Und dann war da noch ein junger Mann, Mitte dreißig, der vor ein paar Monaten eine Weiterbildung im web-Bereich abgeschlossen hat. Jetzt könnte er eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme haben, aber das Arbeitsamt sagt, er hätte zu gute Karten auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Was habt ihr ihm geraten?
Wir haben ihm gesagt, dass es keinen Sinn hat, sich auf die ABM-Stelle zu fixieren. Leider hat das Arbeitsamt das Stigma, das auf ABM lastet – dass das im Grunde ein Abstellgleis ist – voll übernommen und sich dadurch selbst gefesselt. Gerade für Neu- und Quereinsteiger könnte ABM aber nach wie vor Sinn machen.
Die politischen Anstrengungen richten sich darauf, Arbeitslose auf den Niedriglohn-Sektor zu kriegen. Denn andere Jobs sind ja tatsächlich knapp. Die Geringqualifizierten wissen ja, dass für sie nur ein bestimmtes Segment des Arbeitsmarktes erreichbar ist. Viel schwieriger ist es für die, die höher qualifiziert sind und jetzt einen Schritt zurückgehen. Die Qualifikation, die man einmal erworben hat, spielt bei der Vermittlung ja schon jetzt kaum eine Rolle mehr, nur noch die Vergütung die man mal hatte und das auch nur in den ersten sechs Monaten. Danach geht es nach der Höhe der Lohnersatzleistungen.
Kommen Leute zu Ihnen, die sich vor der geplanten Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe fürchten.
Ja natürlich, immerhin ist die Anrechnung von Partnereinkommen wesentlich strikter bei der Sozialhilfe. Außerdem gibt es in Bremen nicht wenige, die ein kleines Häuschen haben, das auf die Sozialhilfe angerechnet würde. Oder eine Alterssicherung: Im Sozialamt würde man sagen, verfrühstücken Sie die erst mal und in einem Jahr sehen wir uns wieder.
In Bremen gibt es zwei neue Institutionen: die Bremer Arbeit GmbH (bag) und die Sozialzentren. Hat sich eure Arbeit sehr verändert?
Bisher noch nicht. Ein Problem ist aber, dass manche Wege für die Leute jetzt komplizierter und formalisierter geworden sind. So konntne arbeitssuchende Sozialhilfeempfänger sich früher ganz einfach an die Werksatt Bremen, heute Teil der bag, wenden. Aus eigenem Antrieb sozusagen. Die arbeiten jetzt nur noch mit Terminen. Und mit Vordrucken. Das bremst Leute aus, und ist eigentlich genau das Gegenteil von „aktivierend“.
Fragen: hey
Bitte vormerken: taz-Veranstaltung „Fördern, fordern, fallenlassen – Arbeitsmarktpolitk auf neuen Wegen“ am 2. Mai um 19 Uhr 30 in der Kesselhalle des Kulturzentrums Schlachthof.
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