Foodwatch-Chef Thilo Bode: "Jeder hat das Recht, sich zu vergiften"
Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode kämpft mit Foodwatch für mehr Transparenz auf dem Lebensmittelmarkt. Derzeit hält er sich auf der Grünen Woche auf. "Eine fürchterliche Veranstaltung", findet er.
taz: Herr Bode, Sie sehen wohlgenährt aus.
Thilo Bode: Sie meinen, ich bin dick?
Nein. Aber mager sind Sie auch nicht. Sie finden offenbar noch genug Lebensmittel, die Sie für genießbar halten. Das macht Hoffnung.
Die Lust am Essen ist mir noch nicht vergangen. Aber ob das ein gutes Zeichen ist? Sicherlich weiß ich ein bisschen mehr über Lebensmittel als andere. Das heißt aber nicht, dass ich mich im Laden besser orientieren kann. Auch ich habe keine Ahnung, ob das Gemüse mal wieder unzulässig hoch mit Pflanzenschutzmitteln belastet ist. Das steht ja nicht dran.
Wo kaufen Sie ein?
Ich wohne in der Nähe vom Zionskirchplatz in Mitte. Bei mir an der Ecke gibt es eine kleine Vietnamesin, die auch sonntagabends noch auf hat. Dann gehe ich regelmäßig zu Kaisers und am Wochenende zum LPG Biosupermarkt in der Kollwitzstraße, wo ich Fleisch und Gemüse bekomme.
Prüfen Sie Herkunft und Inhaltsstoffe der Produkte?
THILO BODE kommt vom beschaulichen Ammersee in der Nähe von München. Der bayrische Akzent ist ihm erhalten geblieben.
Ökonom und Aktivist: Nach seinem Volkswirtschaftsstudium ging Bode in die Entwicklungshilfe. Er lebte zeitweilig in Asien und Lateinamerika. In den 80er-Jahren arbeitete er für ein mittelständisches Metallunternehmen, wechselte dann aber in die Umweltpolitik. Er machte sich als Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland einen Namen, später als Chef von Greenpeace International.
Essensretter: Bode gründete 2002 die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Die NGO macht seitdem immer wieder unappetitliche Schlagzeilen: Sie kritisierte den riskanten Umgang mit Tiermehl und prangerte während der Gammelfleischskandale die Missstände in der Branche an. Foodwatch verwies immer wieder auf gefährliches Acrylamid in Kartoffelchips. Und versaute Weihnachtsbäckern mit Cumarinwarnungen die Zimtsternsaison.
Das Buch: Thilo Bode hat die Foodwatch-Erkenntnisse in polemischen Stil aufgeschrieben. "Abgespeist. Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können", S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, 14,90 Euro.
Ich mache keine Experimente, kaufe immer dasselbe. Tee, Pasta, alles Sachen, bei denen ich weiß, was drin ist. Aber es gibt Ausnahmen. Wenn ich Gäste habe und Kartoffelchips brauche, passiert es schon, dass ich vorher nicht auf unserer Internet-Seite nachsehe, welche wie viel Acrylamid enthalten. Das ist mir dann doch zu mühsam.
Was machen Sie?
Ich kaufe einfach irgendwelche. Meine Gäste sagen: "Das sind bestimmt die Chips mit dem geringsten Acrylamid-Gehalt." Ich sage: "Stimmt."
In der Öffentlichkeit regen Sie sich darüber auf, aber Ihren Gästen setzen Sie das Zeug vor?
Weil ich auch nur ein Kunde bin, der begrenzt Zeit hat, sich schlau zu machen. Das Beispiel zeigt ja, wie nervig es ist, dass man auf der Packung wichtige Informationen nicht bekommt. Eine Leberwurst ist keine Eigentumswohnung - als Käufer will ich mich relativ schnell entscheiden können. Aber wie kann ich das, wenn ich mir mühsam die Informationen zusammensuchen muss - vorausgesetzt, ich erhalte sie überhaupt?
Das ist auch der Grund, warum Sie 2002 Foodwatch gegründet haben?
Ja. Wir fordern mehr Transparenz. Die Industrie spricht gern vom mündigen Verbraucher, aber das ist eine Illusion. Es gibt nur den unmündig gemachten Verbraucher. Für mich ist das weniger eine Frage des Essens als der Bürgerrechte. Die Nahrungsmittelindustrie blockt da total ab. Die verhält sich wie die chemische Industrie, als die Umweltaktivisten vor 25 Jahren auf die Schornsteine stiegen. Das regt mich wirklich auf.
In Berlin trifft sich die Branche derzeit auf der Grünen Woche.
Eine ganz fürchterliche Veranstaltung. Dieses Übermaß an schlechtem Essen, der Geruch. Da wird mir schon übel, wenn ich reinkomme.
Die Regierung hat ein neues Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg gebracht. Bürger erhalten demnach grundsätzlich Zugang zu behördlichen Informationen über Lebensmittel.
Das bringt gar nichts. Das Gesetz enthält viel zu viele Ausnahmen. Als Kunde wird man weiterhin verdummt und betrogen. Manchmal teste ich aus, wie weit ich als Verbraucher komme.
Was meinen Sie?
Neulich habe ich in einem Geschäft gefragt, wie viel Zucker in der Milchschnitte ist. Mein Sohn würde die so gern essen, ich hätte aber gehört, sie mache dick. Die Verkäufer schauen nach und finden den Zuckergehalt nicht. Dann kommt die Geschäftsführerin und sagt: Es sei doch bekannt, dass Milchschnitten nicht wenige Kalorien enthielten. Ich frage: "Kann ich meinem Sohn 10 oder 15 Milchschnitten am Tag geben?" "Um Gottes willen, nein." Die Geschäftsführerin fragt beim Hersteller nach. Zwei Wochen später erklärt sie, der Zuckergehalt sei Rezepturgeheimnis. Absurd.
Wie oft machen Sie so was?
Ab und an, wenn ich dazu aufgelegt bin. Beim Metzger von Kaisers habe ich schon gefragt, ob ich den "Birkenhof" mal besuchen könnte, um zu sehen, wo die Kühe herkommen. Eine jüngere Verkäuferin sagte mir, das sei sicher kein Problem. Peinlich nur, dass ihre ältere Kollegin dann zugab, diesen romantischen Birkenhof gäbe es nicht. Das sei nur eine Marke.
Die Verkäufer können ja nichts dafür. Welchen Zweck haben diese Tests für Sie?
Ich brauche das wohl manchmal, um zu spüren, wie der Markt funktioniert. Wenn sich hinter mir eine lange Schlange bildet, die Leute murren, dann höre ich natürlich auf.
Sie haben eine Mission.
Das muss man haben, wenn man so einen Job macht. Mich interessiert das Politische am Thema Essen. Ich war immer politisch aktiv, habe mich schon in der Schule mit dem Vietnamkrieg beschäftigt. Später engagierte ich mich in der Entwicklungshilfe, dann beim Umweltschutz. Mich fasziniert an der Politik, dass die nötigen Erkenntnisse eigentlich alle vorliegen, es also vor allem ein Problem der Umsetzung ist.
Sind Sie Idealist?
Ich glaube an die Demokratie, ich will soziale Gerechtigkeit.
Das klingt jetzt ein bisschen platt.
Ich meine es aber ernst. Es ist doch beschämend, wie viel Ungerechtigkeit es in Deutschland gibt. Ich lebe seit sieben Jahren in Berlin. Hier kann man der Armut nicht ausweichen, man sieht sie jeden Tag auf der Straße. Viel mehr als in anderen Städten wie Hamburg oder München.
Wohnen Sie gern hier?
Ja. Ich komme aus dem Landkreis Starnberg, das ist der wohlhabendste in ganz Deutschland. Viele Leute dort haben keinen Bezug zur Realität. Das kann mir in Berlin nicht passieren. Hier zu leben ist hilfreich, um politisch beurteilen zu können, was ist wichtig, was nicht? Um bescheiden zu bleiben. Und um sich bewusst zu sein, wie gut es einem geht. Das hört sich jetzt etwas pathetisch an. Aber für mich ist das sehr wichtig.
Auch für Ihre Arbeit?
Ja sicher. Heute haben etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland nicht genug Geld, um sich gesund und ökologisch verantwortlich zu ernähren. Bei der Ernährung haben wir eine Zweiklassengesellschaft. Ich frage mich: Wie können wir es schaffen, dass Lebensmittel mit ehrlichen Preisen und ehrlicher Qualität allen Leuten zustehen?
Und, haben Sie schon eine Antwort gefunden?
Informationsrechte und das einklagbare Recht auf saubere Lebensmittel sind das eine. Das andere ist eine Sozialpolitik, die es den Bürgern finanziell ermöglicht, sich gut zu ernähren.
Die Kunden können auch jetzt schon etwas gegen schlechte Lebensmittel tun. Sie können sie boykottieren.
Die Spielregeln ändern sie damit nicht.
Aber den Markt. Wenn die Nachfrage ausbleibt, geht auch das Angebot zurück.
Wie wollen Sie die Chips mit dem niedrigsten Acrylamidgehalt kaufen, wenn davon nichts auf der Packung steht? Sicher, bei Produkten mit Biosiegel ist die Herstellung des Rohstoffs ökologisch besser. Doch über die Verarbeitung und mögliche Zusatzstoffe weiß man ebenfalls wenig. Auch wenn es nur Biofleisch gäbe, hätten wir noch die Gammelfleischskandale.
Sie haben mal gesagt, die Verbraucher sollten sich zusammentun und Supermärkte stürmen.
Das war nicht ganz wörtlich gemeint. Doch es ist wichtig, dass die Menschen sich nicht alles gefallen lassen, dass sie sich organisieren. Ohne zivilen Ungehorsam werden wir den Markt nicht verändern. Man muss ja nicht gleich so ein berufsmäßiger Querulant und Nörgler sein wie ich.
Gefallen Sie sich in dieser Rolle?
Manchmal hasse ich mich dafür, aber ich brauche es irgendwie.
Sie sind vor allem auch Lobbyist. Um für Ihr Anliegen zu werben, müssen Sie immer dieselben Sätze sagen. "Robben werden besser geschützt als Verbraucher" ist so einer. Nervt das?
Gute Sätze muss man gar nicht wiederholen, die wiederholen andere. Das ist der Trick. Ich brauche den Satz nicht mehr zu sagen, das tun Sie ja schon.
Weil ich ihn doch oft bei Ihnen gelesen habe.
Als NGO kann man Öffentlichkeit nicht kaufen, man muss sie gewinnen. Einprägsame Sätze sind da unheimlich wichtig. Natürlich nervt es, sie zu wiederholen. Einerseits. Andererseits bin ich dann wieder so sauer, dass es mir nichts ausmacht.
Bekehren Sie auch Ihre Freunde?
Im Gegenteil. Früher, als ich in der Umweltbewegung war, haben die Leute dauernd gedacht, sie müssen sich bei mir entschuldigen, weil sie ein großes Auto fahren. Heute fragen sie: "Dürfen wir das noch essen?" Das finde ich eher anstrengend.
Freuen Sie sich doch. Sie stellen eine moralische Instanz dar.
Aber das will ich nicht sein. Natürlich darf man alles essen. Jedem steht es frei, sich selbst zu vergiften. Man sollte es meiner Meinung nur wissen. Das Recht auf Informationen, darum geht es mir.
Reden Sie mit Ihrer Familie darüber?
Meiner Mutter kann ich mit dem Thema nicht kommen. Sie ist 86 und gehört zur Kriegsgeneration. Für die war die Frage entscheidend, ob es überhaupt genug zu essen gibt. Sie freut sich, dass mir mein Job Spaß macht. Aber sie versteht sicherlich nicht, dass ich mich mit dem Metzger im Ort anlege, weil der Weißwurstdarm aus China kommt.
Das Nachfragen scheint bei Ihnen tatsächlich eine Art Sport zu sein.
Manchmal kann ich es nicht lassen. Das hängt davon ab, ob ich Ärger will. Am Zionskirchplatz gibt es zum Beispiel das Lokal "Kapelle". Wenn ich da eine Suppe esse, frage ich nicht nach. Ich möchte mir ja meine Stammkneipe nicht vermiesen. Oder letzte Woche: Da war ich mit meiner Freundin aus, es gab was zu Feiern. So ein Essen mache ich dann natürlich auch nicht zu einem Kreuzverhör.
Gehen Sie gern ins Restaurant?
Nicht mehr. Ich ärgere mich zu oft. Restaurants sind ja ein Hort der Intransparenz. Neulich habe ich ein Wiener Schnitzel bestellt. Und mir hinterher geschworen, es nie wieder zu tun.
Weshalb?
Mir war übel.
Sind Sie sicher, dass das am Schnitzel lag?
Schon. Aber das ist ja immer das Problem beim Lebensmittelrecht. Der Corpus delicti ist verzehrt. Der Zusammenhang von Ursache und Wirkung lässt sich nicht mehr eindeutig nachweisen.
Gibt es auch ungesundes Essen, bei dem Sie schwach werden?
Wenn ich hungrig bin, kaufe ich hin und wieder eine Bratwurst, weil sie gut schmeckt. Der Genuss steht bei mir immer noch oben an. Aber ich bin vorsichtiger geworden.
Inwiefern?
Ich esse keinen Döner mehr. Ich gehe auch nicht mehr zum Chinesen. Dafür habe ich zu viel über Importe von verbotenem Geflügelfleisch gelesen.
Waren Sie in letzter Zeit mal bei McDonalds?
Ja. Wenn ich am Flughafen bin und großen Hunger habe, kaufe ich mir lieber einen Hamburger als irgend so ein undefinierbares Sandwich. Das Fleisch ist zwar mittelmäßig, es stammt von alten Milchkühen, aber in puncto Sicherheit ist man bei McDonalds gut aufgehoben. Die Brötchen enthalten Zusatzstoffe, die Foodwatch selber analysiert hat. Bei McDonalds weiß ich also zumindest, was ich bekomme. Und das ist schon viel in Deutschland.
INTERVIEW: ANTJE LANG-LENDORFF
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